FU Berlin

Foto: Deutsches Herzzentrum Berlin - Abb. 1: Endomyokardbiopsie bei einer schweren Abstoßungsreaktion nach Herztransplantation.

 

Ein Pilz macht es möglich

Tolypocladium inflatum und Herztransplantation

Prof. Dr. Hans-Walter Lack

Mit der Entdeckung des Pilzes Tolypocladium inflatum wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der Kardiologie aufgeschlagen. Der Botaniker Prof. Dr. Lack – selbst herztransplantiert – schildert, wie durch die Einnahme des aus dem Pilz gewonnenen Rohstoffes Cyclosporin die Lebenserwartung von Transplantierten dramatisch steigt. Heute ist die Herztransplantation bei bestimmten schweren Erkrankungen eine bewährte Routinemethode ohne Alternative.

Als im Jahre 1959 an der Universität Innsbruck eine Dissertation mit dem unauffälligen Titel &Mac226;Die Bodenpilze im zentralalpinen Rohhumus‘ eingereicht wurde, ahnten weder der Dekan, die Gutachter noch der Student, dass damit ein neues Kapitel in der Geschichte der Medizin beginnen würde. Mikroskopisch kleine, nur durch ihre Nebenfruchtform bekannte Pilze standen im Mittelpunkt der Untersuchung von Walter Gams: Die Pilze wurden beschrieben, in einfachen, aber sehr präzisen Strichzeichnungen festgehalten und ihre ökologischen Ansprüche an den Standort charakterisiert. Einer dieser imperfekten, von Gams entdeckten Pilze erhielt den provisorischen Namen Trichoderma inflatum. Er war im Sommer 1957 in Obergurgl in Tirol gefunden und später im Labor näher untersucht worden. Vierzehn Jahre später gab ihm Gams, damals bereits am Centralbureau voor Schimmelculturen in Baarn in den Niederlanden tätig, den bis heute gültigen wissenschaftlichen Namen Tolypocladium inflatum.

Jahre später befand sich eine Forschergruppe der Firma Sandoz in Basel auf der Suche nach Substanzen zur Behandlung von Pilzinfekten beim Menschen. Die Forscher vermuteten, dass Bodenpilze chemische Verbindungen produzieren, mit denen sie sich gegen andere Bodenpilze zur Wehr setzen. Bei Sandoz vermehrte die Forschergruppe die von Gams untersuchten Bodenpilze auf Nährmedien und testete die daraus gewonnenen Rohextrakte zusammen mit vielen Tausenden anderer Substanzen – ohne Erfolg. Erst als die Arbeitsgruppe kurz vor der Auflösung stand, traf eine überraschende Nachricht aus dem Tierlabor ein – den transplantierten Mäusen ginge es besser. Mehrfach wiederholte Experimente führten zu dem gleichen Ergebnis: die Überlebensquote der Mäuse, die Extrakte von Tolypocladium inflatum erhalten hatten, lag deutlich höher als bei unbehandelten Mäusen. Damit waren die Forscher erstmals der Immunmodulation auf die Spur gekommen, der künstlichen Veränderung der Immunantwort eines Transplantatempfängers.

Nach jahrelanger Forschungsarbeit stellte sich heraus, dass unter den vielen Tausenden von Substanzen des Rohextrakts nur eine in winzigen Mengen vorkommende Verbindung wirksam ist – ein zyklisches Peptid, das deshalb den Namen Cylosporin erhielt. Es besteht aus elf Aminosäuren, darunter der sehr exotischen 2-Amino-3-hydroxy-4-methyl-6-octensäure, damals nur aus Tolypocladium inflatum bekannt. Eine Voll- oder Teilsynthese erwies sich als zu kostspielig, weshalb die Forschergruppe dazu überging, den Pilz in großen Behältern zu kultivieren – wie man sie aus Bierbrauereien kennt.

Cyclosporin erwies sich im Tierversuch allerdings als eine Substanz, die die Nierenfunktion deutlich beeinträchtigt: War die Dosis zu hoch, starb die transplantierte Maus an Nierenversagen, war sie zu niedrig, starb sie an der Abstoßung des Transplantats.

Glossar

Hauptfruchtform
als Folge einer Zellverschmelzung entstandene Struktur bei Pilzen

hydrophob
wasserabweisend

Immunkaskade
die regelhafte, in Einzelschritten ablaufende Immunantwort

Immunmodulation
Veränderung der Immunantwort

imperfekte Pilze
Pilze, von denen nur die Nebenfruchtform bekannt ist

Nebenfruchtform
als Folge einer Zellteilung entstandene Struktur bei Pilzen

T-Lymphozyten
im Thymus differenzierte Gruppe von weißen Blutkörperchen

Ein Hundeherz wird transplantiert

Steht ein geeignetes Spendeorgan zur Verfügung, ist die Transplantation des Herzens, der Lunge, der Leber oder einer Niere vom chirurgischen Standpunkt kein unüberwindliches Problem. Die erste Herztransplantation fand vor 95 Jahren statt – an einem Hund in Wien. Es sollte weitere 62 Jahre dauern, bis der Mediziner Christiaan Barnard in Kapstadt eine Herztransplantation beim Menschen wagte. Der erste Patient starb allerdings nach wenigen Wochen an der unbeherrschbaren Immunantwort des Empfängers gegen das Transplantat, der gefürchteten Abstoßung. Im Jahre 1983 versuchte ein Ärzteteam in Oxford, eine Herztransplantation mit Cyclosporin zu begleiten, und erzielte damit für den Patienten eine deutlich längere Überlebensrate. Es bedurfte weiterer Jahre intensiver Forschung bis man die heute weltweit übliche, dreifache Immunsuppression entwickelte – mit Cyclosporin A, kombiniert mit dem Mitosehemmer Azathioprin (AZA) und Glucocorticoidsteroiden (GCs). Erst damit konnte die Organtransplantation zu einer bewährten Routinemethode werden: Herztransplantation in der Endphase der Herzinsuffizienz, Lungentransplantation bei schweren Formen der Mukoviszidose, Lungenemphysem und anderen schweren Lungenerkrankungen, Lebertransplantation bei akutem oder chronischem Leberversagen.

Trotz weltweiter Anstrengungen ist es bis heute nicht gelungen, eine ausgereifte Alternative zu Cyclosporin zu finden, das nach wie vor direkt aus dem Pilz gewonnen wird. Das Langzeit-Management der dreifachen Immunsuppression bleibt deshalb ein heikler Punkt für jeden Transplantierten, da die durch das Cyclosporin eingeschränkte Nierenfunktion eine zusätzliche Komplikation darstellt. Wie die Nebenwirkungen einer postoperativ hohen Cyclosporindose auf die Niere erfolgreich reduziert werden können, war vor wenigen Jahren Gegenstand einer am Deutschen Herzzentrum Berlin erarbeiteten Habilitationsschrift von Manfred Hummel.


Abb. 2: Tolypocladium inflatum. Conidiosporenträger und Conidiosporen auf Nährboden. Druck nach einer anonymen Federzeichnung aus Mycologia 88 : 717 (1996).

Das Cyclosporinmolekül besitzt außerdem ausgeprägt hydrophobe Eigenschaften, was die Entwicklung eines speziellen Lösungsmittelgemisches zur oralen Einnahme nötig machte, sowie eine ungewöhnliche Pharmakodynamik, die vom Patienten eine genaue Einnahmerhythmik in einem 12-Stunden-Intervall erfordert.

Inzwischen ist erforscht, wo und wie Cyclosporin A, Azathioprin und Prednisolon in die Immunkaskade eingreifen, insbesondere wie es dem Cyclosporin gelingt, die T-Lymphozyten selektiv zu beeinflussen. Cyclosporin hemmt die Produktion von Interleukin 2, sodass zwar Fremdantigene erkannt werden, die Immunantwort aber ausbleibt oder zumindest stark reduziert wird. Dieser Vorgang ist aber reversibel: Unterlässt es ein Transplantierter, Cyclosporin einzunehmen, lösen die T-Lymphozyten die Immunantwort gegen das Transplantat aus und die gefürchtete Abstoßungsreaktion (Abb.1) beginnt. Anders als GCs und AZA wirkt Cyclosporin sehr spezifisch und blockiert intrazelluläre Signalprozesse in den T-Lymphozyten, d. h. die Genexpression verschiedener Cytokinine, besonders von Interleukin 2, wird selektiv verhindert.


Abb. 3: Cordyceps submilitaris. Hauptfruchtform auf Insektenlarven aus Brasilien.

Es war eine wissenschaftliche Sensation, als es vor vier Jahren einer an der Cornell University und am US Department of Agriculture in New York tätigen Arbeitsgruppe gelang, das rätselhafte Tolypocladium inflatum besser zu verstehen. Gams und die Arbeitsgruppe in Basel kannten bislang nur die Nebenfruchtform und vermehrten den inzwischen an vielen Standorten bekannten Bodenpilz als Myzel bzw. durch Conidiosporen (Abb. 2). Nun fanden Studenten auf einer Exkursion in der Nähe von New York seltsame Gebilde auf Käferlarven; durch Kulturversuche stellte sich in weiterer Folge heraus, dass diese makroskopisch sichtbare Hauptfruchtform von Cordyceps subsessilis zu Tolypocladium inflatum gehört und bereits jahrzehntelang bekannt war. Auch konnte der Nachweis erbracht werden, dass die Hauptfruchtform ebenfalls Cyclosporin produziert und in den Insektenkörper abgibt. Noch ist es allerdings Spekulation, ob Cordyceps auch auf lebenden Insekten vorkommt und vielleicht Cyclosporin nutzt, um in den Metabolismus des Tieres einzugreifen. Denn bis heute ist rätselhaft, welche Rolle dieses exotische Molekül im Stoffwechsel des Pilzes spielt.

Information

Die „grüne” Schatzkammer der Freien Universität
Die Zentraleinrichtung Botanischer Garten und das Botanische Museum Berlin-Dahlem (BGBM) ist ein international bedeutender Aufbewahrungsort von botanischem Material. Sie ist die „grüne” Schatzkammer der Freien Universität Berlin. Die Bestände der wissenschaftlichen Sammlungen des BGBM stammen aus mehreren Jahrhunderten und aus allen Teilen der Welt. Selbst für dort seit vielen Jahren tätige Botaniker erweisen sie sich bisweilen als wahre Fundgrube für neue wissenschaftliche Erkenntnisse. So auch für Prof. Dr. Lack, den Autor des vorherigen Beitrags über den Pilz Tolypocladium inflatum und seinen Entdecker Gams, den er persönlich kennt. Als er vor vier Jahren von den aufsehenerregenden neuen Forschungsergebnissen amerikanischer Wissenschaftler über den Stoffwechsel des Pilzes erfuhr, machte er sich sofort auf die Suche nach Material in den Sammlungen des BGBM und entdeckte zahlreiche Cordyceps-Proben. Die Abbildung 3 zeigt eine Probe aus Brasilien.