FU Berlin
 

Gentherapien in der Kardiologie

Gene hemmen die Narbenbildung in erweiterten Arterien, lassen neue Kapillargefäße wachsen oder verstärken die Kontraktion des Herzmuskels

Dr. Antonia Rötger

Erst seit wenigen Jahren haben Wissenschaftler im Detail verstanden, wie zum Beispiel Herzmuskelzellen arbeiten oder wie Zellen in den Wänden von Blutgefäßen ihre Vermehrung steuern. Das Wissen über die molekularbiologischen Grundlagen und die Funktionsweise der verschiedenen Zelltypen im menschlichen Körper fließt nun auch in die Entwicklung neuer Therapien gegen Herzkrankheiten ein. Mit den Methoden der Gentechnik sollen Gene in die Zellen des Herzmuskels oder in die Gefäßinnenwände eingeschleust werden, die das Verhalten und den Stoffwechsel der Zelle in der gewünschten Richtung verändern.
Unter der Leitung von Prof. Dr. med. Heinz-Peter Schultheiss arbeiten Dr. med. Bernhard Witzenbichler, Dr. med. Klaus Pels und Prof. Dr. med. Wolfgang Poller am Universitätsklinikum Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin an neuen Therapien für die drei großen Probleme, denen Kardiologen bei herzkranken Patienten begegnen: Wiederverengung nach einer künstlichen Aufweitung von Herzkranzgefäßen, Mangeldurchblutung des Herzmuskels nach Infarkt und chronische Herzmuskelschwäche. Diese gentherapeutischen Behandlungen sind zur Zeit noch nicht reif für den Einsatz am Menschen, sondern werden an Zellkulturen aus menschlichen Aderstücken oder an Ratten und Schweinen getestet und weiterentwickelt. Wenn sie sich dort bewähren, könnten Herzpatienten in einigen Jahren jedoch auf eine bessere Prognose und eine höhere Lebensqualität hoffen, weil die gentherapeutische Behandlung in der Lage wäre, einige Schäden am Herz zu reparieren. Die Berliner Wissenschaftsjournalistin Dr. Antonia Rötger sprach für fundiert mit Dr. med. Bernhard Witzenbichler über die ersten gentherapeutischen Forschungsergebnisse der Kardiologen am Universitätsklinikum Benjamin Franklin.

„Langfristig werden gentherapeutische Verfahren für viele Herzpatienten erfolgreich sein”

fundiert: Bei Gentherapie denkt man in erster Linie an die Behandlung von Erbkrankheiten oder an Krebs. Ist es denn relativ neu, das Potential von Gentherapien auch für Herzerkrankungen zu untersuchen?

Witzenbichler: Ja, erst seit drei oder vier Jahren zeichnet sich ab, dass auch in der Kardiologie Gentherapie angewandt werden kann. Man muss aber unterscheiden: In der Kardiologie ist momentan nicht das Ziel, einen angeborenen Gen-Defekt zu heilen oder zu behandeln, sondern man benutzt die Gentherapie vielmehr, um bestimmte Substanzen in das Herz einzubringen, damit diese Substanzen unmittelbar am Herzen ihre Wirkung entfalten können. Man kann das mit einem Medikament vergleichen, das langzeitig über mehrere Wochen an genau den Stellen freigesetzt wird, an denen es benötigt wird.

fundiert: Die eingebrachten Gene arbeiten in den Zellen also nur einige Wochen lang. Vermehren sich die Gene, die Sie in die Zellen einbringen, bei der Teilung der Zellen nicht mit?

Witzenbichler: Nein, diese Gene haben nicht mehr die Möglichkeit sich zu vermehren und dadurch in irgendeiner Weise gefährlich zu werden. Die Zellen werden durch den Einbau dieser Gene angeregt, körpereigene Substanzen zu bilden, zum Beispiel Hormone oder sogenannte Wachstumsfaktoren. Das sind keine chemischen Substanzen mit üblichen Nebenwirkungen, sondern meist körpereigene. Man versucht damit, die unzureichende körpereigene Antwort in der richtigen Weise zu verstärken.


Arteriosklerose unter dem Mikroskop: Fetthaltige Verbindungen und Blutplättchen haben sich an den Innenwänden eines Herzkranzgefäßes abgelagert und das Gefäß verengt. Dadurch wurde der Blutfluss und damit die Sauerstoffzufuhr verringert. Ein Blutgerinnsel (rot) verstopfte letztlich das Gefäß und führte zum Infarkt.

fundiert: Welche Herzerkrankungen könnte man denn mit Hilfe von Gentherapien angehen?

Witzenbichler: Zum einen versucht man, die Restenose nach Erweiterung eines Gefäßes zu verhindern, zum Zweiten möchte man die Angiogenese, also die Durchblutung fördern und zum Dritten die Herzmuskelzellen stärken. Weltweit sind es diese drei Themen, die schwerpunktmäßig bearbeitet werden, weil sie auch die größten Probleme in der Kardiologie darstellen und bei Patienten mit fortgeschrittener Herzkrankheit oft mit starken Beschwerden einhergehen.

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Volkskrankheit Nr. 1: Arteriosklerose
Eine der Ursachen vieler Herzprobleme ist die Arteriosklerose, umgangssprachlich auch als Arterienverkalkung bekannt. Dabei lagern sich fetthaltige Verbindungen und Blutplättchen an den Innenwänden der Arterien ab, die dadurch enger werden und verhärten. Auch die Herzkranzgefäße sind betroffen, sodass der Herzmuskel immer schlechter mit Sauerstoff versorgt wird. Bildet sich auf der vorgeschädigten Gefäßwand ein Blutgerinnsel und verstopft eines der Herzkranzgefäße, kommt es zum Herzinfarkt: Teile des Herzmuskels werden nicht mehr durchblutet und sterben nach einigen Stunden ab.
Die Verengung der koronaren Herzgefäße durch Arteriosklerose äußert sich im fortgeschrittenen Stadium in Angina pectoris-Anfällen: Atembeklemmung, Schmerzen in der Brustmitte, häufig von Todesangst begleitet. Heute versucht man zunächst, die Ader mit Hilfe eines Ballonkatheters zu erweitern. Dabei wird ein Ballon am Kopf eines Herzkatheters an der verengten Stelle aufgeblasen. Oft wird zusätzlich auch ein sogenannter ,Stent‘ implantiert, ein feines Drahtgeflecht, das die Gefäßwand stützt und die Arterie besser offen hält. Erst wenn zwei oder gar alle drei koronaren Hauptäste von der Verengung betroffen sind, kommt eine Bypass-Operation in Frage. Dafür nimmt der Chirurg aus dem Unterschenkel des Patienten ein Stück Vene und pflanzt es als Umgehung zwischen Aorta und Herzkranzgefäß ein. Solche Eingriffe sind inzwischen Routine, allerdings ist der Erfolg oft nicht von Dauer: Bei 20 bis 40 Prozent der Patienten stellt sich schon nach kurzer Zeit die Verengung wieder her, dann spricht man von einer Restenose. Am Universitätsklinikum Benjamin Franklin wird daher seit kurzem mit gutem Erfolg eine Bestrahlungstherapie der Gefäßwand mittels eines in das Herzkranzgefäß eingebrachten Katheters durchgeführt und zusätzlich nach gentherapeutischen Alternativen geforscht.


fundiert: Warum kommt es nach einer künstlichen Erweiterung von verengten Arterien so häufig zu einer Wiederverengung und wie greift eine gentherapeutische Behandlung dieses Problem an?

Witzenbichler: Die Ballondilatation mit einem Herzkatheter und die Stentimplantation funktioniert wunderbar, wenn man es für den Moment sieht. Aber in 20 bis 40 Prozent der Fälle kommt es relativ bald zu einer Wiederverengung oder Restenose. Das ist ein erhebliches Problem in der Kardiologie. Der Mechanismus der Wiederverengung ist ein anderer als bei der Arteriosklerose, die für die ursprüngliche Verengung verantwortlich ist. Die Wiederverengung kann man sich wie eine Art inneres Narbenwachstum vorstellen. Es gibt Patienten, die weniger dazu neigen und andere, deren Gefäßmuskelzellen nach einem solchen Eingriff sehr stark wuchern. Manche Patienten benötigen daher in Abständen von wenigen Monaten wieder eine Erweiterung. Mit gentherapeutischen Methoden will man diese unerwünschte Zellvermehrung an der Gefäßinnenwand bremsen. Die Gene, die man dazu in diese Zellen einbringt, wirken unmittelbar auf den Prozess der Zellteilung ein.

fundiert: Welche Versuche laufen zur Zeit zu diesem Thema am Klinikum Benjamin Franklin?

Witzenbichler: Wir haben eine Serie von Versuchen mit Schweinen gemacht, weil sich am Schwein die Situation beim Menschen am besten simulieren lässt. Beim Schwein kann man exakt die gleichen Kathetertechniken einsetzen wie beim Menschen. Mein Kollege Klaus Pels hat mit einem Nadelkatheter spezielle Faktoren in die Gefäßwand eingespritzt, die das überschießende Zellwachstum reduzieren, und er hat dabei gute Erfolge gesehen.

fundiert: Gibt es hier schon Versuche am Menschen?

Witzenbichler: In Boston gibt es bereits eine Studie an menschlichem Gewebe: Bypass-Patienten wurden Venenstücke aus dem Bein entnommen und mit Oligonukleotiden behandelt, bevor sie ihnen als Bypässe zur Überbrückung von Herzschlagadern eingesetzt wurden. Nach einem Jahr hatten weniger Patienten aus dieser Gruppe einen Bypassverschluss als aus der Kontrollgruppe mit Bypässen aus unbehandelten Venenstücken. Allerdings treten die meisten Bypassverschlüsse erst nach fünf bis zehn Jahren auf, sodass man den Langzeiterfolg dieser Maßnahme noch nicht beurteilen kann.

fundiert: Als weiteres Forschungsfeld haben sie die Angiogenese genannt, also das Wachstum von neuen, feinen Blutgefäßen. Wo könnte diese Therapie angewendet werden und wie sieht sie aus?

Witzenbichler: Es gibt Durchblutungsstörungen des Herzmuskels, die nicht mehr wie üblich mit Kathetereingriffen oder durch Bypassoperationen zu behandeln sind. Und da versuchen wir, das Wachstum von Blutkapillaren durch den Herzmuskel zu fördern, damit dieser wieder besser mit Sauerstoff versorgt wird. Wir kennen heute die sogenannten angiogenetischen Wachstumsfaktoren. Diese Faktoren sind bei der embryonalen Blutbildung wichtig. Ohne diese Faktoren würde der Embryo absterben, weil sich seine Blutgefäße nicht bilden können. Aber auch beim Erwachsenen spielen diese Faktoren noch eine Rolle, sie lassen sich zum Beispiel bei bestimmten Entzündungen, die zu einer vermehrten Durchblutung des Gewebes führen, durchaus in erhöhten Konzentrationen nachweisen. Wenn wir solche Faktoren in den Herzmuskel einbringen, könnten sie das Wachstum von Blutgefäßen anregen, sodass aus vorhandenen Arterien weitere winzige Äderchen aussprießen. Man kann diese Wachstumsfaktoren zwar auch als fertige Substanzen an Ort und Stelle bringen, aber das hat den Nachteil, dass die Wirkdauer nur sehr kurz ist. Deshalb wollen wir diese Faktoren über einen Gentransfer in den Herzmuskelzellen selbst erzeugen. Nach dem Gentransfer werden sie über einen längeren Zeitraum von drei bis vier Wochen vor Ort exprimiert und regen das Gefäßwachstum in dieser Zeit kontinuierlich an.

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Gentechnik und Gentherapie: Die Krankheit an der Wurzel packen
Gentechnik wird zu therapeutischen Zwecken schon seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt. Das bekannteste Beispiel ist die Produktion von Insulin für Diabetiker. Seit den achtziger Jahren stellen gentechnisch veränderte Bakterienkulturen das menscheneigene Bauchspeicheldrüsenhormon her. Vor dieser Entwicklung wurde das Hormon aus den Bauchspeicheldrüsen von Rindern oder Schweinen isoliert, es entsprach jedoch nicht genau dem menschlichen Insulin. Allerdings müssen Diabetiker sich auch das gentechnisch erzeugte Insulin täglich injizieren. Erst wenn es gelänge, das fehlende Gen in ihre eigenen Bauchspeicheldrüsenzellen einzubauen, wären Diabetiker tatsächlich dauerhaft von ihrem Leiden geheilt.
Eine solche Therapie steckt jedoch noch immer in den Kinderschuhen. Mit Gentherapie sollen defekte Gene in den Körperzellen des Patienten repariert, fehlende Gene eingebaut oder Krebszellen zum Selbstmord getrieben werden. Die gentherapeutische Forschung hat sich bisher vor allem auf monogene Erbkrankheiten wie Mukoviszidose konzentriert, aber auch das weite Feld der Krebserkrankungen in Angriff genommen.
In der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Heinz-Peter Schultheiss wird nun untersucht, welche Gentherapien auch für die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen Herzkrankheiten eingesetzt werden können. Dabei werden die entsprechenden Gene für Wachstumsfaktoren oder hemmende Faktoren nicht dauerhaft in die Zellen eingebaut, sondern nur vorübergehend. Sie produzieren so vor Ort einige Wochen lang den gewünschten Stoff. Eine solche Therapie könnte im Idealfall wesentlich schonender sein als die Einnahme von Medikamenten, die stets den gesamten Körper belasten.


fundiert: An welchem Material machen Sie Ihre Versuche?

Witzenbichler: Im Labor arbeite ich mit Zellkulturen von menschlichen Endothelzellen. Diese Zellen werden zum Beispiel aus Gefäßstücken gewonnen, die bei Bypassoperationen nicht mehr benötigt werden. In der Zellkultur kann man Einzelschritte der Angiogenese untersuchen und ich experimentiere dabei mit neuen, erst vor kurzem entdeckten Wachstumsfaktoren. Der nächste Schritt ist dann, am Tiermodell diese Substanzen zu testen, zum Beispiel an der Ratte. Der Ratte wird ein Infarkt gesetzt und dann verabreichen wir dem Tier diese Substanzen. Nach einigen Wochen zeigt sich, welche Faktoren einen positiven Effekt auf die Durchblutung hatten. Wir wollen demnächst einen Schritt weiter gehen und das Verfahren an Schweinen ausprobieren.

fundiert: Wie bringen Sie die entsprechenden Gene in die Herzmuskelzellen hinein?

Witzenbichler: Wenn man diese Gene einfach in die Herzkranzgefäße einspritzen würde, würden sie nicht aufgenommen werden, sondern einfach durchschwimmen. Wir haben mit Adenoviren gearbeitet, die das Gen transportieren. Der Adenovirus dockt an der Gefäßinnenwand an und wandert durch diese Wand in den Herzmuskel ein und setzt dort das Gen frei, das die Aussprossung von neuen Kapillargefäßen fördert. Allerdings hat diese Methode den Nachteil, dass eine immunologische Reaktion gegen die Adenoviren nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Deswegen favorisieren wir momentan eine andere Möglichkeit, nämlich Gene in Form von Plasmiden direkt in den Herzmuskel zu injizieren.

fundiert: Wie kommen sie an die Herzmuskelzellen mit einer Spritze heran?

Witzenbichler: In den USA wurde Patienten dafür der Brustkorb eröffnet, wie für eine Bypassoperation, und so konnten die Gene von außen direkt in den Herzmuskel eingespritzt werden. Wir wollen das ohne eine große OP machen, deshalb erproben wir zur Zeit einen speziellen Nadelkatheter in Zusammenarbeit mit einer Firma. Dieser Katheter kann wie die üblichen Herzkatheter über die Leiste in die große Hauptschlagader eingeführt werden und gelangt dann in die linke Hauptkammer des Herzens. Der Kopf des Katheters lässt sich steuern, so dass man überall in der Herzhöhle an die Wand kommt. Dann kann man eine feine Nadel ausfahren und beliebige Substanzen injizieren.

fundiert: Kann das Wachstum von neuen Blutgefäßen auch unerwünschte Nebenwirkungen haben oder können zu viele Kapillaren aussprießen?

Witzenbichler: Ja, diese Frage berührt ein paar Sicherheitsaspekte. Zwar hat bisher noch nie jemand gezeigt, dass man mit der Applikation von Wachstumsfaktoren im Herzen einen Tumor beispielsweise im Gehirn zum Wachsen bringen kann, aber man muss diese Möglichkeit natürlich berücksichtigen. Denn die Blutgefäße könnten im Prinzip auch einen beginnenden Tumor besser versorgen. Wir müssen daher Patienten, die für eine solche Behandlung in Frage kommen, vorher genauestens untersuchen, ob sie nicht einen bisher unentdeckten Tumor haben. Das Problem eines überschießenden Gefäßwachstums am Herzen selber versuchen wir dadurch zu vermeiden, dass wir mit sehr geringen Dosen anfangen.

fundiert: Sie sagten, dass diese Faktoren etwa drei, vier Wochen lang produziert würden. Bleiben die gewachsenen Gefäße danach erhalten oder verkümmern sie?

Witzenbichler: Ein Teil der neugebildeten Kapillaren wird vermutlich wieder verkümmern. Aber bei starken Durchblutungsstörungen reicht schon ein leichter Zuwachs aus, und momentan wäre man schon zufrieden, wenn man diesen Patienten aus den gröbsten Beschwerden heraus hilft. Man hat diese Therapieform auch schon bei Patienten mit Raucherbeinen und bei Diabetikern ausprobiert, die kurz vor einer Amputation standen und man hat dadurch einige Amputationen verhindern können.

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Wie kommen die Gene an ihren Einsatzort?
Als erfolgreichste Genfähren gelten Viren, zum Beispiel Adenoviren aus der Familie der Schnupfenerreger, aber auch Retroviren. Diese Viren werden vorher gentechnisch präpariert, mit Genen beladen und weitgehend ihrer Vermehrungsfähigkeit beraubt. Sie werden in der Regel über die Blutbahn in den Organismus eingeschleust, docken an den Oberflächen der angesteuerten Zellen an und lassen die Gene in den Zellkern frei. Allerdings ist diese Methode im Sommer 1999 in den Verdacht geraten, doch nicht ungefährlich zu sein: Der 18-jährige Amerikaner Jesse Gelsinger starb an den Folgen einer Infektion, nachdem ihm im Rahmen einer US-Patientenstudie hohe Dosen von Adenoviren injiziert wurden. Die Wissenschaftler wollten mit dem Einbau bestimmter Gene in seine Leberzellen eine Leberstörung heilen, an der der junge Mann litt.


Alternative Genfähren: Plasmide müssen im Gegensatz zu Viren direkt in den Herzmuskel injiziert werden, um ihre Wirkung entfalten zu können. Dazu wird ein Nadelinjektionskatheter (in der Graphik grün-weiß markiert) durch die Leistenarterie bis ins Herz geführt.

Gene lassen sich jedoch auch in Form von Plasmiden als sogenannte „nackte” DNA-Stücke transportieren. Nebenwirkungen sind bisher nicht bekannt. Allerdings ist die Übertragung der Genstücke in die Zellen über die Blutbahn nicht möglich, sondern die Plasmide müssen direkt in die Zellgewebe eingespritzt werden. Am Herzen ist dies durch Verwendung spezieller Injektionskatheter möglich.


fundiert: Die dritte Forschungsrichtung beschäftigt sich mit einer Therapie für chronische Herzmuskelschwäche. Wie kommt es zu chronischer Herzinsuffizienz und wie könnte eine gentherapeutische Behandlung die Beschwerden lindern?

Witzenbichler: Nach mehreren Herzinfarkten sind meist größere Teile des Herzmuskels abgestorben und das Herz pumpt nicht mehr ausreichend kräftig. Zum Zweiten gibt es eine Herzmuskelerkrankung, die zu einer zunehmenden Schwäche des Herzmuskels führt, nämlich die sogenannte dilatative Kardiomyopathie. Dies ist auch ein wesentlicher Schwerpunkt in der Forschungsgruppe von Prof. Schultheiss. Man vermutet, dass diese Krankheit eine Folgeerscheinung von Herzmuskelentzündungen ist. Bei diesen Patienten finden wir ein stark vergrößertes Herz, das nur noch unzureichend pumpt.
Wie die Kontraktion von Herzmuskelzellen gesteuert wird, wissen wir recht gut. Die Zelle bekommt einen elektrischen Impuls und dadurch wird Kalzium freigesetzt, was den Impuls auf den kontraktilen Apparat der Zelle überträgt. An der Regulation dieses Kalziumhaushaltes sind verschiedene Faktoren beteiligt und wir versuchen nun, durch Überexpression von manchen dieser Faktoren und durch Hemmung von anderen den Kalziumhaushalt so zu beeinflussen, dass die Zelle wieder kräftiger kontrahiert.

fundiert: In welchem Stadium sind diese Arbeiten?

Witzenbichler: Wolfgang Poller arbeitet zur Zeit intensiv in Zellkultur und an Ratten. Eine Anwendung am Menschen ist noch nicht absehbar, denn es gibt hier noch sehr viele offene Fragen: Herzen mit Herzmuskelschwäche neigen zum Beispiel auch zu Herzrhythmusstörungen und da das Kalzium auch wesentlich für die elektrische Erregung ist, könnte es sein, dass die Herzstärkung durch den Eingriff in den Kalziumhaushalt durch vermehrte Herzrhythmusstörungen erkauft wird.

fundiert: Liegt denn der Grund für die Herzmuskelschwäche in einem fehlerhaften Kalziumhaushalt oder gibt es nicht ganz andere Gründe dafür, dass die Zellen nur so schwach kontrahieren?

Witzenbichler: Es gibt durchaus Wissenschaftler, die dem Element Kalzium eine kausale Rolle zuschreiben. Wahrscheinlicher sind die Veränderungen im Kalziumhaushalt, nur sekundär entstanden. Somit dient dieser neue Therapieansatz eher zur Linderung schwer erträglicher Symptome, da es Patienten gibt, die aufgrund der Herzmuskelschwäche unter erheblicher Luftnot leiden.

fundiert: Wann sollen die ersten Patienten am Klinikum Benjamin Franklin mit diesen Therapien behandelt werden?

Witzenbichler: Es gibt zur Zeit kein festes Datum. Wir beteiligen uns an einer Studie zur Angiogenese, die eigentlich Ende 2000 beginnen sollte. Dabei sollten Gene, die in Adenoviren verpackt sind, in die Herzkranzgefäße eingeschleust werden. Aber wegen des Todesfalles letztes Jahr in den USA ist dieser Termin nun aufgeschoben worden.

fundiert: Dieser Todesfall hat also unter den Forschern nochmals eine Verstärkung der Vorsichtsmaßnahmen bewirkt?

Witzenbichler: Ja, dieser Vorfall wurde sehr ernst genommen, auch wenn dieser an einer Lebererkrankung leidende Patient mit ausgesprochen hohen Dosen von Adenoviren behandelt worden ist, welche in der Kardiologie noch nie angewandt wurden. Gerade in den USA sind momentan sehr viele Studien auf Eis gelegt worden. Man will zunächst noch besser an Tieren untersuchen, zu welchen Komplikationen es kommen kann, bevor wieder Patienten behandelt werden. Deshalb ist unsere Grundlagenforschung so wichtig und benötigt einfach noch mehr Zeit. Ich bin aber überzeugt, dass langfristig gentherapeutische Verfahren für viele schwerkranke Herzpatienten erfolgreich sein werden.

fundiert: Worin sehen Sie die Lösung für dieses Problem?

Witzenbichler: Ich arbeite nun hauptsächlich mit den ungefährlichen Plasmiden unter Zuhilfenahme eines Nadelinjektionskatheters, um sie direkt in die Herzmuskelzellen zu injizieren. In meiner vormaligen Forschungsgruppe in Boston, wo ich drei Jahre lang mitgearbeitet habe, ist vor kurzem eine auf dieser Methodik basierende Versuchsserie an Patienten begonnen worden.