FU Berlin
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Der Gesichtsausdruck ist die Botschaft

Nonverbale Kommunikation und ihre Entwicklung

Dr. Maria von Salisch

Gefühle lassen sich oft nicht verstecken. So spiegeln sich Wut, Ärger oder Freude in den Gesichtszügen wider, auch wenn die Sprechenden unter Umständen einen anderen Eindruck suggerieren möchten. Schon Kinder, die älter als ein Jahr alt sind, lernen sich zu verstellen. Spätestens ab ihrem dritten Geburtstag sind Kinder sehr wohl in der Lage, falsche Tatsachen überzeugend vorzuspielen. In ihrem Beitrag geht die FU-Psychologin Maria von Salisch der Frage nach, wann und wie Kinder Darbietungsregeln lernen, wann sie sie praktizieren und wann sie darüber im Gespräch Auskunft geben können.

Neben dem, was gesagt wird, ist ebenso wichtig, wie dies geschieht. Aus der Kommunikationstheorie ist bekannt, dass neben der sprachlichen Botschaft die nonverbalen „Begleitbotschaften“ wesentlich mitbestimmen, wie eine Botschaft vom Empfänger verstanden wird. Nonverbal wird auf verschiedenen Kanälen kommuniziert, sowohl über paralinguistische Merkmale wie Lautstärke, Modulation oder Sprechgeschwindigkeit der Wortäußerungen als auch über Ausdrucksbewegungen in Gesicht und Körper, oder über Gesten, Körperhaltungen und motorische Reaktionen wie Hin- und Herlaufen. Dabei ist es zum Beispiel schwierig, ein Gefühl im Ausdrucksverhalten vollständig zu unterdrücken. Auch wenn die Wahl der Worte wohl kontrolliert erscheint, so schimmert das Gefühl doch auf vielen anderen Wegen durch (Ekman, 1985), etwa durch das nervöse Hin- und Herrutschen auf dem Stuhl, durch das Befingern von Kugelschreibern, Ohrringen oder Kaffeetassen oder – noch verborgener – durch das verräterische Wippen einer Fußspitze. Ratgeberbücher geben häufig Tipps über die vermeintliche Bedeutung solcher nonverbaler Zeichen. Leider sind diese Interpretationen kaum wissenschaftlich abgesichert.

Wie lässt sich die nonverbale Kommunikation wissenschaftlich solide erforschen? Indem man sich zunächst auf einen Kommunikationskanal beschränkt. Der Beitrag konzentriert sich auf das visuell vermittelte nonverbale Ausdrucksverhalten und dort insbesondere auf den Ausdruck von Gefühlen im Gesicht. Als Zweites ist es notwendig ein System zu haben, um das Ausdrucksverhalten angemessen abzubilden – sozusagen „Wörter“ zur Beschreibung der Mimik. Kein leichtes Unterfangen angesichts der vielfältigen und dynamischen Gesichtsbewegungen, die von unterschiedlichen Muskeln gesteuert werden, die einander fast unbeschränkt beeinflussen können und die auf jungen und alten Gesichtern unterschiedliche Spuren hinterlassen. Die beiden kalifornischen Psychologen Paul Ekman und Wallace Friesen machten sich in einem zweijährigen Selbstversuch an die Arbeit und entwickelten das objektive Kodiersystem „Facial Action Coding System“ (FACS). FACS ist ein anatomisch aufgebautes System, das alle muskulär bedingten Veränderungen in der Erscheinung des Gesichts erfasst. Grundbausteine der Veränderungen sind die „Action Units“ (AU), die auf Muskelbewegungen beruhen und vielfältig miteinander zu kombinieren sind. FACS konzentriert sich auf die Erscheinungsveränderungen, denn diese sind es, die im Gespräch von Angesicht zu Angesicht vom Gegenüber bemerkt werden und damit den Fortgang der Interaktion beeinflussen. Kurzum: Der wahrgenommene Gesichtsausdruck ist die Botschaft!

Ein Beispiel: Wie in der Abbildung zu sehen ist, wird bei AU1 der mittlere Teil des frontalis Muskels angehoben, so dass die Haut zusammengezogen wird und auf dem mittleren Teil der Stirn Falten entstehen. Bei AU2 wird der seitliche Teil des frontalis Muskels in die Höhe gehoben, sodass kurze Falten an den Schläfen auftauchen (oder vertieft werden). AU4 bündelt jene Erscheinungsveränderungen der Muskeln corrugator, depressor glabellae und depressor supercilli, die man gemeinhin als Stirnrunzeln bezeichnet. Kombinationen dieser drei Action Units sind Teile von Gesichtsbewegungen, die für verschiedene Gefühle typisch sind. So kann AU4 (Stirnrunzeln) Ärger oder Kummer und Unbehagen anzeigen (aber auch Konzentration oder die Suche nach Schutz vor blendender Sonne). Die hochgezogenen Brauen (AU1+2) sind typisch für das Überraschungsgesicht; AU1+4 bildet den oberen Teil eines „Trauergesichts“ und AU1+2+4 deuten bei entsprechenden Mundbewegungen auf Angst hin. Mit wenigen Action Units als Grundbausteinen kann man eine Vielzahl von Gesichtsbewegungen beschreiben, die auch für den Ausdruck von Gefühlen wichtig sind. Weitere AUs beschreiben die Erscheinungsveränderungen im unteren Teil des Gesichts.



Quelle: Paul Ekman


Ein Lob den feinen Unterschieden
FACS hilft, jene feinen Unterscheidungen zu treffen, die oft kaum zu benennen sind, aber dennoch unterschwellig wahrgenommen werden. Denn es liegt auf der Hand, dass das Lächeln reiner Freude eine andere Form hat als das Lächeln, das wir aufsetzen, wenn uns der Zahnarzt eine Wurzelbehandlung ankündigt. So ist es mit Hilfe von FACS möglich, zwischen einem wirklich herzlichen Lächeln, einem höflichen, einem angestrengten Lächeln, einem ärgerlichen, einem ängstlichen oder einem traurigen Lächeln zu differenzieren. Ekman (1985) unterscheidet gar zwischen 17 verschiedenen Arten des Lächelns. Den nonverbalen Ausdruck von Gefühlen genau zu beobachten ist wichtig, denn jenseits des Säuglingsalters werden Gefühle anderen Menschen nur selten offen und direkt mitgeteilt. „Verstellung“ des Ausdrucksverhaltens ist im normalen zwischenmenschlichen Umgang die Regel.

Auf die „Verstellung“ (Modulierung) im Bereich der nonverbalen Kommunikation hebt das Konzept der Darbietungsregeln ab. Darbietungsregeln modulieren kurz gesagt, „wer wem gegenüber wann welches Gefühl (in welcher Intensität) zeigen darf“. Dieses Konzept stammt aus den kulturvergleichenden Forschungen von Ekman und Friesen (1988) und wurde in der Folge erweitert auf Regeln, die jeweils für eine ethnische Gruppe, eine Sozialschicht oder ein Geschlecht gelten. Da auch die meisten Familien leicht abweichende Vorstellungen davon haben, welches emotionale Ausdrucksverhalten in einer Situation angemessen ist, wären zu dieser Aufzählung noch familienspezifische Darbietungsregeln hinzuzufügen. Modulierungen größeren Ausmaßes kommen ferner bei der bewussten Täuschung und im Theater vor. Techniken zur Umsetzung der Darbietungsregeln sind: (1) die Neutralisierung, also das undurchdringliche Pokergesicht; (2) die Vergrößerung, also die Intensivierung des erlebten Gefühls im Ausdruck; (3) die Verkleinerung, also die Abschwächung des empfundenen Gefühls; (4) die Maskierung, also die Überdeckung des erlebten Gefühls durch ein anderes (meist ein Lächeln) im Ausdruck und damit verwandt (5) die Simulation, also das nonverbale „Vortäuschen“ eines Gefühls, das nicht zugleich empfunden wird (Ekman, 1988). Diese Techniken decken die Möglichkeiten zur Modulierung von Art und Intensität der erlebten Emotion weitgehend ab.

Die verschiedenen Arten nonverbaler Zeichen des Gesichts und des Körpers bilden im Hinblick auf ihre Beeinflussbarkeit ein Kontinuum: So gibt es Embleme, also nonverbale Handlungen, die eine direkte verbale Entsprechung haben, Illustratoren, die direkt mit der Rede zusammenhängen, und Regulatoren, die das Hin und Her des Austausches zwischen Sender und Empfänger regeln (Ekman, 1988). Diese Klassen von nonverbalen Zeichen sind sicher mehr oder weniger gelernt. Die Verknüpfung zwischen ihnen und dem emotionalen Erleben ist durch Konventionen geregelt und zufällig. Diese Art von Zeichen dürfte daher mit dem Willen recht einfach zu beeinflussen sein. Eine Mittelstellung bezüglich der willentlichen Steuerung dürften konventionalisierte Darbietungen von Gefühlen einnehmen, wie etwa das Vortäuschen von Ärger durch Drohgebärden, das mehr oder weniger überzeugend ausfallen kann. Am anderen Ende dieses Kontinuums stehen Adaptoren, also Bruchstücke von früher gelernten adaptiven Handlungen, wie etwa Selbstberührungen sowie die emotionalen Ausdrucksformen im Gesicht, die oft nicht bewusst sind und die mit Hilfe von Darbietungsregeln moduliert werden.



Quelle: Bill Sanders, The Milwaukee Journal


Das nonverbale Ausdruckparadox
Damit stellt sich die Frage, wann und wie Kinder die Darbietungsregeln lernen, wann sie sie praktizieren und wann sie darüber Auskunft geben können. Denn deutlich ist, dass jenseits des ersten Lebensjahres Ausdruck und Erleben von Gefühlen nicht mehr notwendigerweise zusammenhängen. Spätestens ab ihrem dritten Geburtstag sind Kinder in der Lage, falsche Tatsachen überzeugend vorzuspielen. Die Psychologen Michael Lewis, Carl Stanger und Margaret Sullivan (1989) brachten Dreijährige in Versuchung, indem sie ihnen verboten, einen faszinierenden Spielzeug-Zoo anzuschauen, der halb verdeckt hinter ihrem Rücken aufgebaut war, während die Versuchsleiterin das Zimmer verließ. Danach befragt, ob sie nach dem Spielzeug geschielt hätten, antworteten 62% der Kinder entweder mit „nein“ oder sie gaben gar keine Antwort, obwohl eine Videoaufnahme zeigte, dass sie in Wirklichkeit doch das Spielzeug angeschaut hatten. Analysierte man das nonverbale Ausdrucksverhalten der „Vortäuscher“, so ergaben sich keine Unterschiede gegenüber dem Verhalten derjenigen Kinder, die wahrheitsgemäß berichteten, dass sie das Spielzeug angeblickt hatten. Vor allem erwachsene Beurteiler waren nicht im Stande, anhand der „Unschuldsmiene“ der Kinder festzustellen, welche gelogen hatten und welche nicht. Weitere Laborstudien unterstreichen, dass die willentliche Beherrschung der Gesichtsmuskulatur auch unter weniger motivierenden Bedingungen, nämlich bei einfachen verbalen Anweisungen, mit dem Alter immer weiter perfektioniert wird. Konnten die Dreijährigen schon auf Kommando lächeln und Teile des Überraschungsgesichts zeigen, so erwiesen sich die Vier- und Fünfjährigen als wahre Experten. Sie waren imstande, darüber hinaus willentlich Trauer und Ekel auf ihre Gesichter zu zaubern und zwar ebenso überzeugend wie die erwachsene Vergleichsgruppe. Nur der Ausdruck von Angst und von Ärger gelang ihnen noch nicht so perfekt (Lewis, Sullivan & Vasen, 1987). Ab wann Kinder die verschiedenen Techniken zur Umsetzung von Darbietungsregeln, wie eben Vergrößerung, Verkleinerung, Neutralisierung und Maskierung beherrschen, ist bisher noch nicht untersucht worden. Welchen Kindern es besser oder weniger überzeugend gelingt, nicht erlebte Gefühle in ihrem Ausdrucksverhalten vorzutäuschen beziehungsweise erlebte Gefühle im Ausdruck zu unterdrücken oder zu neutralisieren, ist bislang ebenfalls noch nicht systematisch erforscht.

Bei den Darbietungsregeln wurde am häufigsten die Fähigkeit untersucht, Enttäuschung gegenüber einer erwachsenen Versuchsleiterin zu maskieren. Orientierungspunkt für alle weiteren Studien war das von der Psychologin Carolyn Saarnis (1984) entwickelte Enttäuschungsparadigma. Bei diesem Laborexperiment wird eine Erwartung beim Kind aufgebaut, dass seine Tätigkeit durch ein attraktives Geschenk der Versuchsleiterin belohnt wird. Bei einer zweiten Tätigkeit, die später ausgeführt wird, wird diese Erwartung verletzt: Das Kind bekommt ein unattraktives Geschenk. Während das Kind das wenig altersangemessene Geschenk erhält, wird sein Ausdrucksverhalten auf Video aufgenommen und anschließend analysiert. Ihre Kollegin Pamela Cole (1986) adaptierte das Enttäuschungsparadigma für Kinder im Vorschulalter. In ihrer ersten Studie stellte Cole (1986) erwartungsgemäß fest, dass alle Kinder bei Erhalt des unattraktiven Geschenks mehr Ausdrucksformen von Ärger, Ekel und Trauer auf ihren Gesichtern zeigten als bei Erhalt des attraktiven Geschenks. Dennoch trugen Mädchen schon ab etwa vier Jahren häufiger ein Lächeln, den Ausdruck der Überraschung oder eine Mischung von beidem auf ihren Gesichtern als gleichaltrige Jungen. Beim Ausdruck negativer Gefühle während der Enttäuschungssituation unterschieden sich weder Mädchen und Jungen noch die verschiedenen Altersgruppen. Cole (1986) erweiterte diese Ergebnisse in einer zweiten Studie, in der sie 20 Mädchen zwischen drei und viereinhalb Jahren mit dem Enttäuschungsparadigma untersuchte. Dabei variierte sie, ob die Versuchsleiterin bei Erhalt der Geschenke anwesend war oder nicht. Diese drei- und vierjährigen Mädchen setzten beim Öffnen des unattraktiven Geschenks ebenfalls häufiger eine positive Miene auf und äußerten sich in neutraler Weise, wenn die Versuchsleiterin anwesend war. Waren sie alleine, wenn sie das reizlose Geschenk auspackten, konnte man viele negative Ausdrucksbewegungen und Wortbeiträge beobachten, die ihrer Enttäuschung eher entsprachen.

Dass man andere Menschen in die Irre führen kann, wenn man eine Miene aufsetzt, die vom eigenen Erleben abweicht, konnte nur eines der zwanzig Mädchen bei der Nachbefragung in Coles (1986) zweiter Studie in Worte fassen. Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, hatten doch fast alle Mädchen während der Enttäuschungssituation eine positive Miene bewahrt. Es deckt sich mit einem Befund von Josephs (1993), die feststellte, dass Urteile erwachsener Beobachter darüber, wie gut Kinder von fast fünf Jahren die Vorspiegelung von Freude und Zufriedenheit in der Enttäuschungssituation beherrschten, nicht nur zufällig mit deren Wissen über den Ausdruck positiver und dem Verbergen negativer Gefühle zusammenhing. Erst bei der älteren Altersgruppe von durchschnittlich sechs Jahren und drei Monaten ergab sich ein überzufälliger Zusammenhang zwischen dem Wissen des einzelnen Kindes und der Einschätzung seiner „Täuschungskünste“ in der Enttäuschungssituation, wobei Kinder, die sich überzeugend verstellen konnten, auch ein größeres Wissen darüber an den Tag legten (Josephs, 1993). Hier tritt das erste nonverbale Ausdrucksparadox zu Tage, nämlich dass Kinder offensichtlich falsche Gefühle schon vorspiegeln können, während sie dies erst etwa zwei Jahre später benennen können.

Auf die Frage, woher dieses Ausdrucksparadox kommt – also warum das Wissen über die Verstellung des Ausdrucksverhaltens erst einige Jahre später verbal zugänglich ist als das Verhalten selbst – gibt es im Wesentlichen zwei Antworten. Zum einen mag dies an den Untersuchungsmethoden liegen, zeigt sich doch auch bei anderen Fähigkeiten, dass das Wissen, das Kinder bei Befragungen anhand von hypothetischen Situationen im Labor demonstrieren, oft geraume Zeit hinter dem her hinkt, was sie unter den zugleich einschränkenderen und motivierenderen Bedingungen des Familienalltags zeigen (Dunn, 1988). Zum anderen mag der „Entwicklungsrückstand“ des Wissens dadurch bedingt sein, dass die Regulierung des Ausdrucksverhaltens zuerst auf der Verhaltensebene gelernt wird. Implizites Lernen auf der Verhaltensebene fängt bereits im vorsprachlichen Säuglingsalter an, und zwar anhand der Reaktionen, mit denen Mütter (und andere Beziehungspartner) das Ausdrucksverhalten der Babys beantworten (Malatesta & Haviland, 1982). Gelingt es Kindern immer wieder, ihre vertrauten Mitmenschen bewusst zu täuschen, kommt einige Zeit später wahrscheinlich das Lernen am Erfolg hinzu. Das Lernen am Modell – oder durch die Identifikation mit den Bezugspersonen (Damon 1989) – erfolgt ebenfalls im Wesentlichen auf der Ebene des Verhaltens und ist nicht sprachlich vermittelt. Wie andere Formen des Wissens auf der Verhaltensebene ist das Wissen über die Modulation des Ausdrucksverhaltens daher vorbewusst und schlecht zu verbalisieren. Anzunehmen ist daher, dass die Darbietungsregeln zu Gefühlen zunächst auf dem impliziten nonverbalen Wege auf der Ebene des Verhaltens gelernt und erst später auch sprachlich vermittelt werden. Denn durch das Reden über Gefühle, ihre Entstehung, ihr Erleben, ihren Ausdruck und ihre Folgen entsteht neben dem vorbewussten impliziten Wissen immer mehr sprachlich verfügbares semantisches Wissen zu diesem Themenkomplex. Welches Verhältnis zwischen diesen beiden Arten des Wissens besteht, liegt noch weitgehend im Dunkeln. Abgesichert erscheint allein, dass Kinder die Verstellung ihres Ausdrucksverhaltens beim Enttäuschungsparadigma nicht allein durch Nachahmung eines Modells, das sie beobachtet haben, erworben haben können. Kinder, die seit ihrer Geburt blind waren, modulierten ihre Gesichtsbewegungen in dieser Situation nämlich in ähnlicher Weise wie eine Vergleichsgruppe sehender Kinder, die ihnen im Hinblick auf Alter, Geschlecht und Schultyp angeglichen worden war (Cole, Jenkins & Shott, 1989).

Eine weitere interessante Frage, die ebenfalls kaum erforscht worden ist, betrifft die Folgen dieses Wissens. Erst dann nämlich, wenn das Wissen über die Verstellung des Ausdrucksverhaltens Kindern sprachlich zugänglich ist, sollten sie in der Lage sein, dieses Wissen auch strategisch einzusetzen, also mit dem Ziel, andere Menschen hinters Licht zu führen. Vielleicht speist sich die Vorliebe, die Kinder im Grundschulalter für Streiche und andere Formen der Verstellung haben, zum Teil aus dieser Quelle, eben aus dem gerade erst erworbenen Wissen über die Täuschung und der Freude am Üben dieser neuen Kompetenz. Ob es einem Kind jedoch gelingt, die Maskierung und Verstellung, das Vortäuschen falscher Tatsachen und das Auslassen wichtiger Sachverhalte so erfolgreich über die Bühne zu bringen, dass andere davon überzeugt werden, ist noch eine zweite Frage. Manche Kinder sind, ebenso wie manche Erwachsene, einfach notorisch schlechte Lügner (Ekman, 1985).



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Lernziel: cool werden
Um zu untersuchen, wie Kinder im Grundschulalter es schaffen, den Ausdruck ihrer Gefühle im Gesicht zu modulieren, wurden sie in eine Situation verwickelt, in der ihre Gefühle durch ein Spiel herausgefordert wurden. Freundespaare wurden in ein Videolabor eingeladen und gebeten, zusammen ein Computerspiel zu spielen, bei dem sie gemeinsam einen Helikopter über die Skyline von Manhattan steuern sollten. Normalerweise sind Kinder (und Erwachsene) bei einer solchen Geschicklichkeitsaufgabe mit viel Spaß bei der Sache. Der Haken bei dem Spiel war nun, dass mal für den einen und mal für den anderen Freund die Verbindung zwischen Tastatur und Flugzeug auf dem Bildschirm für einige Sekunden unterbrochen war. Dieser „Wackelkontakt“ erschwerte die Koordination der beiden „Kopiloten“ natürlich enorm. Vorwürfe, dass einer nicht aufgepasst hatte oder ungeschickt sei, waren oft die Folge; die „Suche nach dem Schuldigen“ begann in vielen Fällen.

Bei der Auswertung des Ausdrucksverhalten von 94 neun- bis dreizehnjährigen Freundespaaren (beiderlei Geschlechts) mit Hilfe von FACS ergaben sich einige interessante Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Die Neun- und Zehnjährigen waren bei der „Suche nach dem Schuldigen“ offensichtlich nervöser als die schon etwas lebenserfahreneren Zwölf- und Dreizehnjährigen, denn sie zeigten mehr Zeichen von Anspannung und lächelten häufiger ein Höflichkeitslächeln als die Älteren. Zugleich gelang es den Jüngeren noch nicht so gut, ihr Unbehagen zu maskieren wie den Älteren; dieses kam in Form von kontrolliertem Lächeln und Ärgerlächeln (nur bei den Jungen) häufiger durch. Die älteren Kinder dagegen drückten ihren Ärger kontrollierter aus, und zwar mit Hilfe von Ärgeremblemen oder Drohgebärden, die eindeutig willensgesteuert sind. Unterschiede zwischen Jungenpaaren und Mädchenpaaren ließen sich natürlich auch beobachten. Während Mädchen mit zunehmendem Alter immer häufiger ein emotionales Lächeln aufsetzten, nahmen sich Jungen in ihrem Lächeln zunehmend zurück: Das verhaltene emotionale Lächeln wurde bei den älteren von ihnen immer häufiger. Diese Beobachtungen entsprechen den bekannten Geschlechtsstereotypen, die es Mädchen und Frauen erlauben, sich emotional zu geben (auch wenn dies vorgespielt ist), während Jungen und Männern in vielen Situationen eine strengere Kontrolle ihres emotionalen Ausdrucksverhaltens auferlegt wird (von Salisch, 1997).

Wie gelingt es Kindern, sich mit zunehmendem Alter in vielen Situationen emotional immer mehr zurückzunehmen, eben „cool“ zu werden? Verschiedene Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich Kinder zum Ende der Kindheit hin immer häufiger distanzieren, wenn sie sich über einen Freund oder eine Freundin geärgert haben. Nach den Wegen befragt, auf denen sie ihren Ärger regulieren, antworteten die gleichen neun- bis dreizehnjährigen Kinder mit zunehmendem Alter immer häufiger, dass sie sich von diesem Freund abwenden und eine Weile nicht mehr mit dieser Person reden würden, oder dass sie sich ablenken würden, etwa indem sie den Fernseher einschalten (von Salisch, 2000). Distanzierung von der Person oder der Situation könnte ein Mittel sein, um die erwünschte undurchdringliche Miene zu erreichen, eben um „cool“ zu werden.

Sich gezielter aufzuregen macht Sinn, spart man dadurch doch Kräfte für Wesentlicheres. Einen großen Nachteil hat das Abwenden und Ablenken jedoch, vor allem wenn man es bei Ärger auf Freunde und enge Vertraute anwendet: Nichts ändert sich. Darauf sind wahrscheinlich auch die Kinder gekommen, die in einer weiteren Untersuchung fünf Jahre später noch einmal als Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren nach ihren Wegen des Umgangs mit Ärger befragt wurden. Als Jugendliche gaben sie sehr viel seltener als zuvor an, dass sie Distanzierungsstrategien einsetzen, wenn sie sich über ihren Freund oder ihre Freundin geärgert hatten (von Salisch & Vogelgesang, 2001).



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"Mensch ärger dich nicht" bleib aktuell
Neben dem Paradox, dass Kinder sich in ihrem Ausdrucksverhalten schon lange verstellen können, bevor sie darüber reden können, gibt es noch ein zweites nonverbales Ausdrucksparadox: Unsere Mitmenschen, vor allem enge Vertraute, können von unseren nonverbalen Signalen etwas über unseren Gemütszustand ablesen, was uns selbst vielleicht verborgen geblieben ist. „Guck doch nicht so grimmig“, sagen sie dann zum Beispiel. Manchmal gelingt ihnen das besser als uns lieb ist. Deshalb üben Grundschulkinder auch so fleißig, eine undurchdringliche Miene zu bewahren, auch angesichts von alltäglichen Provokationen. „Mensch ärger dich nicht“ und ähnliche Spiele mit ihren Frustrationen und Provokationen bleiben daher auch noch heute für Kinder (und Erwachsene) aktuell.