FU Berlin

 

Seuchen und Plagen

Was sind Seuchen?
Seuchen haben Hochkonjunktur. Unvergessen die Bilder abgeschlachteter Rinder, deren verbrannte Leiber in den Himmel ragten. Die Angst vor BSE ließ Bauern, Fleischer und Restaurantbesitzer letztes Frühjahr verzweifeln: Der Käufer verlangte Straußensteak statt Rinderschnitzel. Auch wenn sich das Kaufverhalten normalisiert hat, ist Missbehagen geblieben. Mehr zitterte die Welt vor Anthrax-Erregern. Wer hinter diesen Attacken steht, ist offen. Gerade die Unsichtbarkeit der Täter schürt Angst und Schrecken. Grund genug für die Freie Universität, sich dem Thema Seuchen interdisziplinär anzunehmen und zu fragen: Was sind eigentlich Seuchen? Beantwortet wird diese Fragen von den Medizinerinnen Prof. Dr. Johanna Bleker und Prof. Dr. Marina Stöffler-Meilicke. Wo Katastrophen sich abspielen, sind Trittbrettfahrer nicht weit: Allein in Deutschland gab es nach dem 11. September zahlreiche Milzbrand-Fehlalarme. Für die Direktorin der Psychiatrischen Klinik, Prof. Dr. Isabella Heuser, ein Beweis, dass Trittbrettfahrer für ihre Taten hart bestraft und psychiatrisch behandelt werden müssen.

Seit Urzeiten haftet den Seuchen das Unheimliche an. Bevor Mediziner die Erreger der Krankheiten entdeckten, bedeutete der Krankheitsausbruch den sicheren Tod. Schon im Altertum interpretierten die Menschen Seuchen als Strafe Gottes. Das Volk der Hethiter flehte seine Götter um Gnade an, wie der Altorientalist Prof. Dr. Volker Haas beschreibt. Die jüdische Bevölkerung entwickelte Heilzauber, um die Gefahr zu bannen, so die Judaistin Irina Wandrey. Unvergessen in das menschliche Gedächtnis hat sich die Pest von 1348 eingezeichnet, an der in Europa ein Drittel der Bevölkerung starb. „Weh mir, was muss ich erdulden“, klagte der Stoiker Petrarca. Der Schrecken saß tief. Die Moral war auf dem Nullpunkt. Erst Jahre nach dem Schwarzen Tod bannten Maler den Schrecken ins Bild, wie der Kunsthistoriker Prof. Dr. Eberhard König nachzeichnet. Anders ist das nationale Gedächtnis Jahrhunderte später mit der Spanischen Grippe umgegangen, die, so Dr. Guido Steinberg, in Deutschland fast vergessen ist, während sie in Saudi-Arabien eine große Rolle spielt.
Immer hatten Seuchen mit Reisen und Expeditionen zu tun. Reihenweise starben die mexikanischen Azteken an den von Spaniern eingeschleppten Krankheiten, wie Prof. Dr. Ursula Thiemer-Sachse vom Latein-Amerika-Institut aufzeigt. Umgekehrt verlief die Reise des Syphilis-Erregers, der – so Prof. Dr. Rolf Winau – von Amerika nach Europa kam. Ähnlich wie der Syphilis hängt der HIV-Infektion ein Hauch des Unmoralischen an. In seinem Aufsatz zeigt Dr. Hansjörg Dilger den tabuisierten Umgang mit Aids in einer Land- und einer Stadtgemeinde in Tansania.

Auch in der Veterinärmedizin spielen Seuchen seit alters her eine zentrale Rolle, zumal oft tierische Erreger auf den Menschen überspringen. Einen Streifzug durch die Geschichte der Tierseuchen unternimmt Prof. Dr. Lothar Wieler, während die Wissenschaftsjournalistin Dr. Catarina Pietschmann die Erprobung neuer Impfstoffe im Kampf gegen Salmonellen beschreibt, die Prof. Dr. Hafez Mohamed Hafez vorantreibt.
Ansteckung muss nicht zu einer herkömmlichen Krankheit führen, weshalb der evangelische Theologe Prof. Dr. Weinrich provokant die Frage stellt: „Ist die Religion eine Krankheit?“ Wer indes meint, der Gefahr vor Ansteckung im Krankenhaus zu entgehen, irrt, wie Dr. Christine Geffers in ihrem Beitrag darstellt. Die häufigste Komplikation eines Klinikaufenthalts ist der nosokomiale Infekt. Zu den gefährlichsten Infektionskrankheiten zählt die Tuberkulose. In seinem Beitrag geht der Infektionsmediziner Dr. Timo Ulrichs auf die Entwicklung neuer Impfstoffe ein. Demgegenüber handelt es sich bei Virushepatitis C um einen asymptomatisch verlaufende Krankheit. Bleibt sie unerkannt, kann die heimtückische Erkrankung noch nach Jahren zu einer vollständigen Zerstörung des Lebergewebes führen. Damit die Erkrankung nicht unerkannt bleibt, forschen Dr. Rajan Somasundram, Dr. Thomas Schneider und Prof. Dr. Heinz Zeichhardt gemeinsam über Hepatitis C, wie der Artikel von Catarina Pietschmann zeigt.

Doch der Worte genug. Die Redaktion wünscht Ihnen bei diesem stets aktuellen Heft viel Freude und Erkenntnisgewinn bei der Lektüre.

Dr. Felicitas von Aretin


Titelbild: Maria Wannenmacher