FU Berlin

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Wie krank macht das Krankenhaus?

Christine Geffers

Stellt der Aufenthalt im Krankenhaus eine Gefahr für Patienten dar? Diese Frage irritiert zunächst. Menschen begeben sich ins Krankenhaus, um ihre akuten oder chronischen Erkrankungen behandeln und invasive Diagnostiken durchführen zu lassen. Im Allgemeinen erhoffen sich Patienten von einem Krankenhausaufenthalt in erster Linie eine Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation. Dass erst der Aufenthalt im Krankenhaus dazu führen kann, durch Komplikationen eine vorübergehende oder bleibende Gesundheitsschädigung davonzutragen, ist vielen Patienten nicht bewusst.

Zu den häufigsten im Krankenhaus auftretenden Komplikationen zählen die Infektionen. Hierbei handelt es sich keinesfalls um bedauernswerte Einzelschicksale. Durch die hohe Anzahl im Krankenhaus behandelter Patienten sind viele Menschen davon betroffen. Bei den im Krankenhaus erworbenen Infektionen spricht man von nosokomialen Infektionen (aus dem Griechischen nosokomeion = Krankenhaus). Diese nosokomialen Infektionen können den Behandlungserfolg im Krankenhaus beeinträchtigen, weshalb Maßnahmen zum Schutz vor solchen nosokomialen Infektionen seit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes im Januar 2001 in Deutschland gesetzlich verankert sind.


AKG: Die vier Tugenden Prudentia, Temperantia, Fortitudo und Justitia unterrichten Nonnen in der Pflege der Kranken. Französische Buchmalerei, 1482/83

Historischer Überblick

Die Behandlung von Kranken in Krankenhäusern ist keine Errungenschaft der modernen Zivilisation. Bereits die römischen Legionen stellten die Versorgung ihrer Verwundeten in Lazaretten sicher. Es vergingen jedoch mehrere Jahrhunderte, bis im Mittelalter die medizinische Versorgung in festen Einrichtungen, vor allem in Klöstern, etabliert werden konnte.


AKG: Pflege von Verwundeten im 15. Jahrhundert

Außer den Mönchen standen diese Krankenstationen auch Reisenden und Besuchern offen. Die Größe variierte von kleinen Häusern mit ein oder zwei Betten bis zu gut geplanten Krankenhäusern mit mehreren Abteilungen und angeschlossenen Gärten für die Kultivierung von Heilpflanzen. Mit der Urbanisierung wuchs der Bedarf an großen Hospitälern in den Städten. Eines der größten mit 2000-3000 Betten entstand im 17. Jahrhundert an den Ufern der Seine in Paris. Im Rahmen von Epidemien (Ausbrüche) wurden hier bis zu 7000 Patienten gleichzeitig stationär behandelt. Nicht selten mussten sich bis zu acht Patienten ein Bett teilen. In dieser Zeit wurden erstmals Hinweise wahrgenommen, dass mit einer Krankenhausbehandlung auch Gesundheitsrisiken für den Patienten verbunden sein könnten. So war es üblich, die Wunden von Patienten täglich mit einem Schwamm zu reinigen, der nacheinander für alle Patienten genutzt wurde. Bei allen diesen Patienten traten später Infektionen der Wunden auf. Als Folge verstarben 60% der Patienten nach Amputationen, und eine Kindbettfieber-Epidemie kostete 19 von 20 Frauen das Leben. In einer zeitgenössischen Enzyklopädie wurde dieses Krankenhaus als „das größte, das reichste, aber auch das schrecklichste aller Krankenhäuser“ bezeichnet und die London Medical Times schrieb 1850 im Zusammenhang mit einer hohen Sterblichkeit durch das Kindbettfieber: „Krankenhäuser sind die Pforten, die (für Frauen) zum Tod führen“.

Dass ein enger Zusammenhang zwischen Krankenhausbehandlung und dort entstehenden Erkrankungen mit der Gefahr eines tödlichen Ausgangs existiert, konnte Ignaz Semmelweis eindrucksvoll aufzeigen.


Semmelweis wurde 1818 in Budapest geboren und war von 1846 – 1849 Assistenzarzt der Klinik für Geburtshilfe in Wien, der größten geburtshilflichen Abteilung Europas. Die Klinik bestand aus zwei Abteilungen mit Ausbildungsfunktion: Die Abteilung I wurde von Ärzten und Studenten der Medizin betreut, während für die zweite Abteilung Hebammen verantwortlich waren. Die Entwicklung des Kindbettfiebers war zu dieser Zeit eine gefürchtete Komplikation, verbunden mit einer hohen Sterblichkeit der Mütter. Semmelweis fiel auf, dass in der von Ärzten betreuten Abteilung jede zehnte Frau verstarb, in der Abteilung II war es nur etwa jede dreißigste. Nachdem Semmelweis zahlreiche andere Faktoren als Ursache ausschließen konnte, führte er den Unterschied in der Müttersterblichkeit auf den Umstand zurück, dass Ärzte und Studenten neben ihrer Tätigkeit im Kreissaal im benachbarten Autopsiesaal Leichen obduzierten. In dieser Zeit war auch ein enger Freund von Semmelweis, der Gerichtsmediziner Jacob Kolletschka, an einer akuten Infektion verstorben, nachdem er sich während einer Obduktion an einem Messer verletzt hatte. Die Ähnlichkeit der tödlich verlaufenden Krankheitsbilder beim Gerichtsmediziner und den Müttern führte Semmelweis zu der Hypothese, dass nicht die Wunde, sondern die Kontamination der Wunde mit Leichenmaterial die Ursache für die Erkrankung und den Tod darstellte. Er ordnete deshalb an, dass jeder Student nach einer Sektion seine Hände mit Chlorkalk desinfizieren sollte. Die Sterblichkeitsrate der Mütter in Abteilung I sank daraufhin von 18,3% im April 1847 auf 1,3% im folgenden Jahr. Auf diese Weise erbrachte Semmelweis nicht nur den Beweis, dass das Kindbettfieber eine übertragbare Ursache hatte, sondern leitete auch angemessene Präventionsmaßnahmen zur Unterbrechung der Infektionskette ein und rettete damit vielen Frauen das Leben. Im Folgenden konnte er auch noch den Nachweis erbringen, dass eine Übertragungsgefahr beim Kindbettfieber nicht nur von Leichen ausgeht, sondern eine Weiterverbreitung von lebenden Patienten auf die nächsten möglich ist, obwohl zu dieser Zeit die Erreger von Infektionskrankheiten noch gar nicht bekannt waren. Er erkannte als einer der Ersten den direkten Zusammenhang zwischen medizinischer Behandlung und nachfolgender Infektion mit der Gefahr eines potentiell tödlichen Ausganges und war somit ein Vorreiter der modernen Infektionsepidemiologie bzw. Hygiene. Semmelweis erlangte mit seinen Erkenntnissen jedoch keinesfalls Ruhm und Anerkennung, sondern wurde von seinen Kollegen diskreditiert, die nicht wahrhaben wollten, dass Ärzte und deren Verhalten die Ursache für Erkrankung und Tod sein sollten.

Einige Jahre später führte Joseph Lister, ein Chirurg aus Schottland, die Desinfektion von Operationswunden mit Karbol ein und erreichte damit eine Abnahme der Infektionsrate und Sterblichkeit. Er führte dies anfänglich fälschlicherweise auf die Reduktion der Keime in der Luft zurück und übersah dabei, dass die meisten Wundinfektionen durch die von ihm begleitend durchgeführten Maßnahmen wie Händedesinfektion, Verwendung desinfizierter Wundverbände und sauberer chirurgischer Instrumente verhindert wurden. In Deutschland wurden die von Lister eingeführten Methoden der Antiseptik (keimtötend) von Chirurgen bald übernommen und kurz darauf um neue Erkenntnisse zur Aseptik (Keimfreiheit) ergänzt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Verwendung steriler Instrumente, Kittel und Handschuhe und das Tragen von Mund-Nasen-Masken in Operationssälen großer Universitätsklinken bereits Standard.
Mit der Entdeckung des Penicillins 1928 und dessen breitem Einsatz in der Medizin seit den 40er Jahren wurde die Behandlung von Infektionskrankheiten revolutioniert. Die gefürchteten Infektionskrankheiten verloren nach und nach ihren Schrecken.

Nosokomiale Infektionen heute

Die Gefahr, im Krankenhaus Gesundheitsschäden davonzutragen, besteht heute noch. So bewirkte der Glauben an die Allmacht der Antibiotika, der neuen Wunderwaffe im Kampf gegen Infektionen, eine Unterschätzung der Wichtigkeit von Präventionsmaßnahmen, ungeachtet der Erkenntnis, dass das vorrangige Ziel im Sinne des Patienten nicht die Behandlung von Infektionen sein sollte, sondern deren Vermeidung. Neue Relevanz erhalten Präventionsmaßnahmen aber auch dadurch, dass die Waffen im Kampf gegen Infektionen zum Teil stumpf geworden sind, indem die Antibiotika gegen einige Erreger inzwischen nicht mehr in vollem Umfang wirksam sind. Hervorgerufen wird dieses Phänomen durch Veränderungen der Bakterien, die dazu führen, dass das Antibiotikum diese Erreger nicht mehr abtöten kann. Eine Weiterverbreitung solch resistenter Bakterien im Krankenhaus muss durch geeignete Maßnahmen unterbunden werden, um zu verhindern, dass Patienten Infektionen entwickeln, die nicht mehr therapierbar sind – eine Situation, die den Möglichkeiten der Medizin vor Einführung der Antibiotika entspräche. Aber nicht nur die Therapiemöglichkeiten bei Infektionen werden wieder zunehmend eingeschränkt. Gleichzeitig bewirken neue Diagnostik- und Behandlungsverfahren eine verstärkte Gefährdung von Patienten. Somit hat die Hygiene (griechisch hygieinos = gesund; Vorbeugende Maßnahmen zur Gesunderhaltung) im Sinne einer Infektionsprävention auch heute noch eine entscheidende Funktion bei der Behandlung von Patienten in Krankenhäusern.

Häufigkeit nosokomialer Infektionen

In Deutschland wurden im Jahr 1999 über 16 Millionen Patienten in 2.252 Krankenhäusern stationär behandelt. Wie viele Patienten heute noch in Deutschland von nosokomialen Infektionen betroffen sind, kann nur geschätzt werden. Bisher wurde in drei großen Studien versucht, den Umfang des Problems zu quantifizieren.
Eine prospektive Inzidenzstudie, die im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft durchgeführt wurde, ermittelte für das Jahr 1987, dass 5,7% bzw. 6,3% (je nach verwendeter Definition für nosokomiale Infektionen) der stationär im Krankenhaus behandelten Patienten eine nosokomiale Infektion entwickeln. Diese Untersuchung schloss jedoch nur Krankenhäuser der alten Bundesländer ein. Vor einigen Jahren bestanden jedoch durchaus noch Unterschiede in der Häufigkeit nosokomialer Infektionen zwischen Krankenhäusern in den alten und den neuen Bundesländern.

Eine repräsentative Untersuchung in Deutschland zur Häufigkeit und Verteilung nosokomialer Infektionen aus dem Jahr 1994 ergab, dass 3,5% der untersuchten Patienten eine nosokomiale Infektion hatten. In Krankenhäusern der neuen Länder traten im Vergleich zu den alten Bundesländern 25% weniger nosokomiale Infektionen auf. Diese erhöhte Gefährdung durch nosokomiale Infektionen in den alten Bundesländern korreliert mit einer häufigeren Anwendung invasiver Verfahren, die als die wichtigsten Risikofaktoren für Infektionen im Krankenhaus gelten. Hierzu zählen insbesondere zentrale Gefäßkatheter (ZVK), Harnwegkatheter (HWK) und die maschinelle Beatmung. Die bessere Ausstattung mit Materialien und Mitteln dürfte inzwischen zu einer Angleichung der Anwendungshäufigkeiten dieser Risikofaktoren und damit zu einem Anstieg der Infektionsraten in den ostdeutschen Krankenhäusern geführt haben. In einer weiteren Studie in zwölf Krankenhäusern in Berlin und im Raum Freiburg aus den Jahren 1995 bis 1998 zur Inzidenz nosokomialer Infektionen wurde eine Häufigkeit von 6,3% (Patienten mit nosokomialer Infektion pro 100 Patienten) ermittelt. In dieser Untersuchung wurden die durch nosokomiale Infektionen besonders gefährdeten chirurgischen Patienten und Patientinnen auf Intensivstationen beobachtet (nosokomiale Infektionen sind – im Vergleich zu Normalpflegestationen – auf Intensivstationen etwa 5 mal häufiger anzutreffen). Eine ähnliche Häufigkeit wie in Deutschland wurde in den USA gefunden (5,7 nosokomiale Infektionen pro 100 Patienten). Geht man von einer Mindestinfektionsrate von 5% aus, bedeutet dies bei einer Patientenzahl von 16 Mio., dass jährlich etwa 800.000 Patienten in Deutschland von nosokomialen Infektionen betroffen sind.

Bedeutung nosokomialer Infektionen

Der hohe Stellenwert nosokomialer Infektionen ergibt sich nicht nur allein aus der großen Anzahl betroffener Patienten, sondern auch durch die persönlichen und gesellschaftlichen Folgen, die sich hieraus ergeben. Nosokomiale Infektionen können mit erheblichem Leid und zusätzlichen Schmerzen für die Patienten verbunden sein und nicht nur den Behandlungserfolg in Frage stellen, sondern letztlich auch zum Tode führen. Besonders fatal sind nosokomiale Infektionen dann, wenn sich Patienten mit einer nicht lebensbedrohenden Erkrankung zur Behandlung in ein Krankenhaus begeben und sich während des stationären Aufenthaltes eine potentiell tödliche Infektion entwickelt. Das Risiko, den Krankenhausaufenthalt nicht zu überleben, erhöht sich für die von nosokomialen Infektionen betroffenen Patienten auf etwa das Doppelte. Aber auch die gesellschaftlichen Folgen können gravierend sein. Schon während des Krankenhausaufenthaltes entstehen erhebliche Kosten durch den verlängerten stationären Aufenthalt, Mehrkosten durch die Therapie und durch zusätzliche Diagnostik. Abhängig von der Art der nosokomialen Infektion beträgt die Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes zwischen 1 und 8 Tagen.

Der Zeitraum bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit kann verlängert sein, und nosokomiale Infektionen können zu einer Frühberentung führen. Die Belastungen für die Gemeinschaft ergeben sich nicht nur aus den aufzuwendenden Mehrausgaben, sondern auch durch den Verlust von Arbeitskräften und den Ausfall von Beitragszahlern für Sozial- und Krankenversicherungen.

Auftreten nosokomialer Infektionen

Infektionen, die im Krankenhaus erworben werden, können alle Organsysteme betreffen und reichen von leichten Infektionskrankheiten wie unkomplizierte Harnweginfektionen bis zu den Allgemeinzustand des Patienten stark beeinträchtigenden Krankheiten wie Pneumonie (Lungenentzündung) und Sepsis (Blutvergiftung). Gerade auch postoperative Wundinfektionen sind gefürchtet und können so gravierend sein, dass mehrfache erneute Operationen erforderlich werden. Die Häufigkeit, mit der die einzelnen Infektionsarten auftreten, variiert je nach Fachrichtung. Während krankenhausweit die Harnweginfektionen (40%), gefolgt von den Infektionen der unteren Atemwege (20%) und den postoperativen Wundinfektionen (15%) den größten Anteil der nosokomialen Infektionen ausmachen, überwiegen bei Patienten auf Intensivstationen die Infektionen der unteren Atemwege (53%). Insbesondere die Infektionen der unteren Atemwege stellen eine vitale Bedrohung dar und verdoppeln bis verdreifachen das Sterberisiko für Patienten auf Intensivstationen.

Ursachen und Prävention nosokomialer Infektionen

Die Entwicklung einer nosokomialen Infektion ist keinesfalls immer gleichbedeutend mit einem vorausgegangenen Behandlungsfehler. Die Entstehung einer nosokomialen Infektionen hängt von zahlreichen Einzelfaktoren ab, die im Patienten selbst begründet sind (endogene Faktoren) oder durch Beeinflussung von außen verursacht werden. Durch den Wissenszuwachs auf dem Gebiet der Infektiologie in Bezug auf Erreger, Übertragungswege, Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen konnten große Fortschritte bei der Vermeidung nosokomialer Infektionen erreicht werden. Gleichzeitig hat sich die Patientenzusammensetzung in Krankenhäusern in der Form verändert, dass immer mehr Patienten mit einer erhöhten Disposition zu nosokomialen Infektionen (z.B. hohes Lebensalter, Frühgeborene, Patienten mit schwer wiegenden Grundkrankheiten) behandelt werden und neue, besonders risikoträchtige invasive Verfahren (z.B. Gefäßkatheter) oder Behandlungsmethoden (z.B. Chemotherapie) eingeführt wurden. Diese Faktoren bewirken, dass nosokomiale Infektionen auch im Zeitalter der modernen Medizin eine wichtige Rolle im Krankenhaus spielen, und dass eine völlige Reduktion nicht möglich ist. Einige der Risikofaktoren sind durch geeignete Maßnahmen zu beeinflussen, andere wie das Alter der Patienten oder die Erkrankungsschwere dagegen kaum, und wieder andere werden im Rahmen einer Therapie bewusst als Nebenwirkungen in Kauf genommen, um eine Heilung der Grundkrankheit zu erreichen. Ein Beispiel hierfür ist die medikamentöse Suppression des Immunsystems als Schutz vor Abstoßungsreaktionen bei Patienten nach Organtransplantationen. Bei diesen Patienten wird die Gefahr einer nosokomialen Infektion bewusst toleriert, weil Alternativen für eine Heilung ohne Infektgefährdung nicht zur Verfügung stehen. In der Phase der größten Gefährdung versucht man den Patienten nicht nur von Erregern der Umwelt abzuschirmen, sondern es werden auch Maßnahmen getroffen, die die Patienten vor ihrer eigenen Keimflora schützen. Diese Maßnahmen sind nicht nur sehr aufwendig, sie sind auch so belastend, dass nicht jeder Patient dies toleriert. Diese Faktoren bewirken, dass nur etwa ein Drittel aller im Krankenhaus auftretenden Infektionen durch geeignete Maßnahmen vermeidbar sind.


AKG: Der Impfsaal im Institut Pasteur in Paris

Auch wenn das Reduktionspotential limitiert ist, werden auf verschiedenen Ebenen Präventionsmaßnahmen zur Reduktion vermeidbarer nosokomialer Infektionen durchgeführt, um das Risiko für die Patienten zu minimieren. Zum einen existieren Empfehlungen für hygienisch korrektes Handeln in Krankenhäusern, zum Beispiel für die Hautdesinfektion vor Operationen oder zum Umgang mit Beatmungszubehör, zum anderen werden diese Empfehlungen durch Beobachtungen zur Häufigkeit unterstützt, mit der nosokomiale Infektionen auftreten. Die Feststellung der Häufigkeit nosokomialer Infektionen dient hierbei der Überprüfung medizinischer Qualität und kann nachfolgend zur Qualitätsverbesserung der stationären Behandlung beitragen. Um eine Einschätzung der Anzahl und der Verteilung nosokomialer Infektionen in besonderen Risikobereichen zu erlauben, werden seit 1997 infektionsrelevante Daten aus ganz Deutschland für die wichtigsten nosokomialen Infektionsarten kontinuierlich in ca. 200 Krankenhäusern erhoben, gesammelt, analysiert und als nationale Referenzdaten veröffentlicht. Der Name dieses Systems zum Auf- und Ausbau der Referenzdatenbank für nosokomiale Infektionen lautet KISS (Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System). In Abbildung 1 ist die Verteilung der Infektionshäufigkeiten verschiedener am KISS beteiligter Intensivstationen am Beispiel der beatmungsassoziierten Pneumonien (Lungenentzündung, die sich im Laufe eine maschinellen Beatmung bei Patienten auf Intensivstation entwickelt hat bezogen auf 1000 Beatmungstage) graphisch dargestellt.
Jedes Kästchen in der Abbildung 1 entspricht einer teilnehmenden Intensivstationen mit ihrer dazugehörigen Infektionsrate (Stellung auf der Abszisse). Auf der Ordinate ist erkennbar, wieviele Intensivstationen jeweils identische Infektionsraten ermittelt haben. Die senkrecht verlaufenden Linien (Q1, Median, Q3) kennzeichnen hierbei bestimmte Grenzwerte innerhalb der Verteilung. Mithilfe der Referenzdaten werden Krankenhäuser in die Lage versetzt, ihre eigene Stellung innerhalb der Verteilung mit denen anderer zu vergleichen und Diskrepanzen in der Infektionshäufigkeit schnell erkennen zu können. Allein die Beobachtung der Infektionen, die Aufzeichnung und die Analyse der Häufigkeit (=Surveillance), mit der sich daraus ableitenden Akzeptanz der nosokomialen Infektion als Problem, hat in den am KISS beteiligten Stationen nachweisbar zu einer deutlichen Reduktion der Infektionen geführt. Nosokomiale Infektionen stellen zwar eine ständige potentielle Gefahr dar, aber schon das Wissen um diese Gefahr kann viel bewirken. National und international wurden auf verschiedenen Ebenen bereits zahlreiche Maßnahmen mit dem Ziel eingeleitet, die Häufigkeit nosokomialer Infektionen zu reduzieren, die Qualität medizinischer Maßnahmen zu verbessern und das Risiko für Patienten zu minimieren.
Aber auch für die Krankenhäuser rechnen sich die für die Präventionsmaßnahmen aufzuwendenden Mehrausgaben. Für die USA wurde in den 80er Jahren aufgezeigt, dass bereits bei einer Reduktion nosokomialer Infektionen um nur 6% die Mehrausgaben durch die erreichten Einsparungen gedeckt werden.
Jede darüber hinausgehende vermiedene Infektion bringt bereits eine Einsparung für das Krankenhaus. Ein Aspekt, der gerade auch unter den Zwängen eines begrenzten Budgets sicher noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Ein Verzicht auf die Beschäftigung von Hygienefachpersonal wäre allein im Hinblick auf die zu erzielende Kostenreduktion ein Sparen am falschen Platz.


Literatur

Homepage des Nationalen Referenzzentrums für Krankenhaushygiene mit den aktuellen Referenzzahlen des Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS) für Deutschland:
www.nrz-hygiene.de

Homepage der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) mit Links u. a. zu den aktuellen Referenzzahlen für die USA (NNIS):
www.cdc.gov

Haley, R. W., D. H. Culver White JW, Morgan WM Emori TG. The nationwide nosocomial infection rate. A new need for vital statistics. Am J Epidemiol 1985;121: 159-67.

Geffers C., Koch J., Sohr D., Nassauer A., Daschner F., Rüden H., Gastmeier P.: Aufbau einer Referenzdatenbank für nosokomiale Infektionen auf Intensivstationen – Erste Ergebnisse des nationalen Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS). Anaesthesist 2000; 49:732-737.

Rüden H, Gastmeier P, Daschner F, Schumacher M. Nosokomiale Infektionen in Deutschland, Epidemiologie in den alten und neuen Bundesländern. Dtsch med Wschr 1996; 121: 1281-1287.

Wenzel RP, Thompson RL, Landry SM, Russel BS, Miller PJ, Ponce de Leon S, Miller GB: Hospital acquired infections in intensive care unit patients: An overview with emphasis on epidemics. Infect Control 1983; 4: 371-375.