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(Bild: Fondazione Guiorgio Cini, Venedig)

Das Unsichtbare sichtbar machen

Die Lichtgeister des Jacopo Tintoretto

Caroline Bohlmann, Thomas Fink und Philipp Weiß

Licht in der Malerei ist mehr als nur Lichtsymbolik oder Naturbeobachtung. Historisch wechselnde Lichtgefüge erweisen sich in der neueren kunsthistorischen Forschung zunehmend als eine der Grundlagen malerischer Bildsprache. Ein jedes historisches Lichtbild zieht seine Bedeutung zugleich aus mehreren Bereichen, wie der Optik, der Theologie, der Naturwissenschaft oder der Lichtmetaphysik. Erst die Analyse des spezifischen Komplexes dieser Anteile eröffnet den Sinn. Die Lichtmalerei der Gegenreformation sah sich vor die paradoxe Aufgabe gestellt, das Unsichtbare sichtbar zu machen.

Mit seinem Werk „Das Abendmahl“ in der Kirche San Giorgio Maggiore in Venedig führt der venezianische Maler Jacopo Tintoretto (1518-1594) – benannt nach dem Beruf seines Vaters „il tintore/der Textilfärber“ – all seine malerischen Mittel vor. Die Szene stellt den Beginn des Sakraments als Einbrechen des Göttlichen in die Wirklichkeit dar. Die Veranschaulichung der Transsubstantiation, also der Verwandlung der Substanz von Brot und Wein in Leib und Blut Christi, wird durch eine raffinierte Lichtmalerei ausgedrückt.
Drei Typen von Licht lassen sich hier unterscheiden und formieren die Aufteilung der Szene in voneinander geschiedene Bereiche, die sich über die Bilddiagonale von links oben nach rechts unten lesen lassen.
Das leuchtende Feuer der von der Decke herabhängenden Öllampe zieht den Blick an sich. Es ergießt sich in Strahlen und Wellen und formiert sich zu geisterhaften Engelsgestalten. Diese Wesen sind allein mit schnellen Strichen skizziert, so dass die dünne Malerei den Untergrund durchscheinen lässt. Die Transparenz erhöht die himmlische Körperlosigkeit der Engel, die sich im Augenblick der Betrachtung erst zu materialisieren scheinen.
Im Zentrum der Darstellung erstrahlt Christus inmitten der Jünger. Ausgangspunkt des gleißenden Lichtes ist seine Gloriole. Seine Bedeutung wird noch durch die Schrägstellung des Tisches betont, der auf ihn zuläuft. Diese Anordnung bezieht sich auch auf den Anbringungsort des Gemäldes, denn der Tisch steht in der ideellen Verlängerung der Achse des Altars von San Giorgio Maggiore und trägt so der Schrägsicht des Betrachters Rechnung. Die Gruppe der Apostel wird sowohl von der hinter ihr liegenden Lichtquelle beleuchtet als auch durch ihre Heiligenscheine vom dunklen Untergrund hervorgehoben. Die Konturen treten schroff heraus, einige wenige Partien scheinen hell erleuchtet, die übrigen flächig dunkel.
Die dritte Lichtordnung im Bild repräsentieren die Diener, als irdische Gesellschaft der Szene. Ihre Körper nehmen das Licht Christi und das Licht der Lampe wie ein Beleuchtungslicht auf. Sie sind im Sinne der Renaissance mit „rilievo“ (Erhebung, Relief) wiedergegeben, also plastisch abgeschattet und rund gemalt.
Wie kommt es nun, dass hier sowohl die Menschen als auch Christus und schließlich die Engelsgestalten auf einem Bild vereint werden und warum drückt sich ihr Miteinander und ihr Verhältnis vor allem mit Mitteln des Lichtes aus?

Der religiöse geschichtliche Hintergrund
Zunächst mag man auf den Darstellungsinhalt und den historischen Kontext verweisen. 1551 formuliert die katholische Kirche im Tridentiner Konzil (1545–1563) das Dekret über das „heiligste unter den Sakramenten“: die Eucharistie. Das Dekret beansprucht gleich eingangs, die Irrtümer der Reformatoren und das Schisma, das sie verursacht haben, mit „der Wurzel auszureißen“. Und in der Tat ist das Abendmahl der wichtigste Streitpunkt der interkonfessionellen Auseinandersetzung. Gegen die unterschiedlichen Vorstellungen der Protestanten, die die Allgegenwart Christi betonen und im Abendmahl eher eine symbolische Handlung sehen, beharrt die katholische Kirche darauf, dass „nach der Konsekration (=Weihung) von Brot und Wein unser Herr Jesus Christus, wahrer Gott und Mensch wahrhaftig, wirklich und substantiell in Brot und Wein enthalten ist“ (Dreizehnte Sitzung unter dem Pontifikat Julius III, 11. Okt. 1551, Dekret über das allerheiligste Sakrament der Eucharistie, Kapitel 1). Eine Umwandlung, die die Teilnehmer des Konzils als Transubstantiation bezeichnen.
Im Abendmahl findet also nach dieser Lehre ein Übergang, eine Durchdringung, mehr noch, ein Miteinander von Göttlichem und Irdischem statt und zwar in Anwesenheit der Menschen. Gott ist hier nicht ins Jenseits entrückt, er teilt sich der menschlichen Gemeinschaft im Sakrament mit.
Aber auch die katholische Kirche, die den hinsichtlich der Eucharistie kühleren Symbolismus der Protestanten verwirft und auf der „Realpräsenz“ Christi besteht, ist sich des außerordentlichen, des gleichnishaften Charakters der Eucharistie bewusst und spricht im selben Dekret vom Sakrament als dem „Symbol eines Heiligen“, das „sichtbare Form einer unsichtbaren Gnade“ sei.
Genau dies darzustellen also kann man von Tintoretto, dem Maler dieser Abendmahlsszene, verlangen – wenn er denn im Rahmen der katholischen Gegenreformation gesehen werden darf. Tintoretto muss die Durchdringung von Irdischem und Göttlichem darstellen, er muss den Zusammenhang zeigen und doch auch den Abstand markieren, er muss das Unsichtbare sichtbar machen.

Die zeitgenössische Kunsttheorie
Wenn man sich nun an die zeitgenössische Kunsttheorie wendet, um zu überprüfen, wie eine solche Aufgabe gelöst werden könnte, so findet man in Lomazzos Trattato von 1585 (Giovanni Paolo Lomazzo, Trattato dell’arte della pittura scoltura ed architettura, 1585) einen interessanten Aufschluss. Lomazzo integriert zwei Traditionslinien der Vor- und Darstellung des Lichtes: Das ist erstens die Auffassung des Lichtes als ein Medium der Darstellung, eines Lichtes, das irdische Körper sichtbar macht, indem es sie beleuchtet – diese Tradition geht auf Aristoteles zurück – und zweitens die aus der Lichtmetaphysik des Neuplatonismus folgende Vorstellung einer Lichtabstufung, deren höchste Stufe gleichsam das Licht als Offenbarung Gottes ist, ein in dieser Tradition wohlgemerkt sehr häufig unsichtbares Licht, das die menschlichen Augen so wenig zu schauen vermögen, wie sie den direkten Blick ins Sonnenlicht ertragen.
Lomazzo stellt jedoch die Betrachtung irdischer, materieller Körper – wie sie Leonardo und Alberti in ihren Traktaten und Werken ein Jahrhundert zuvor untersucht und penibel differenziert haben – und die Erscheinung des göttlichen Lichtes der Engel oder der Mysterien in einen einzigen Zusammenhang. Das Licht als Medium der Darstellung und das Licht der Lichtmetaphysik schließen einander nicht mehr aus. Mit einer für den modernen Leser verblüffenden Selbstverständlichkeit diskutiert er im selben Atemzug die Frage der lichthaften Darstellung eines Engels und die leuchtende Schönheit einer jugendlichen Person. Fast verschwinden hinter der leitenden Frage, wie die jeweiligen Wesen oder Dinge das Licht aufnehmen, reflektieren oder gar aussenden, ihre wesentlichen ontologischen Unterschiede.
Es gibt hier also keinen Bruch mehr zwischen einer wirklichkeitsnah (und sei dieses idealisiert) orientierten Malerei und einer das Überirdische und die Ontologie (oder Ordnung der Dinge) symbolisch ausdrückenden Darstellungsweise.

Die theologischen Wurzeln der Lichtmetaphysik
Leider weiß man wenig darüber, welchen kunsttheoretischen, theologischen oder philosophischen Programmen Tintoretto verpflichtet war. Für das Abendmahl kann man jedoch einer in mancher Hinsicht möglichen Referenz nachgehen, auf die der Kunsthistoriker Victor Stoichita in einem Interview verweist ( Dieses Interview erscheint im vierten Heft 2002 der kunsthistorischen Vierteljahreszeitschrift „Kritische Berichte“). Einer der frühen Kirchenväter, der Neuplatoniker Origenes (er hatte einen gemeinsamen Lehrer mit dem bekanntesten Neuplatoniker Plotin: Ammonius Saccas), hat im Rahmen seiner theologischen Schriften nicht nur die vielleicht am weitesten entwickelte Lichtmetaphorik ausgebildet, sondern auch viel zum Verständnis der Eucharistie beigetragen, indem er das christliche Abendmahl nach Praxis und Bedeutung gegen die Opferpraktiken seiner heidnischen Gegner gestellt hat (vgl. Origenes, vor allem: contra celsus). Sowohl die Reformatoren als auch die katholische Kirche berufen sich bezüglich der Eucharistie auf ihn.
Wenigstens zwei Belege gibt es dafür, dass sich katholische Geistige im Rahmen der Gegenreformation im venezianischen Kontext auf Origenes Lehrmeinung gestützt haben (vgl. Lothar Lies, Origenes’ Eucharistielehre im Streit der Konfessionen, Innsbruck, 1985, S. 165, über den Bischof von Leira, Gaspar Casalius, der die Lehre der Transsubstantiation auf Origenes zurückführt, was heute sicher als Anachronismus beurteilt werden muss; und über den portugiesischen Jesuiten Henrique Henriquez, der Origines Kommentar zu Matthäus 15 in seiner Sakramentenmoral für die Eucharistielehre, die 1600 in Venedig erscheint, als Indiz für die Realpräsenz anführt). Die der Fertigstellung des Bildes zeitnahe Veröffentlichung handelt ausdrücklich von der Eucharistie und der Frage, wie sie zu feiern sei.
Wir schlagen daher – im Bewusstsein, uns auf dem Boden des Hypothetischen zu befinden – vor, Tintorettos Abendmahl einmal mit dem Neuplatonismus des Origenes zu lesen:

Tintoretto und Origenes
Folgen wir der Lichtlogik des Origenes absteigend, entsprechend der Ordnung des Bildes: Gott ist unwahrnehmbares Licht, wie dasjenige, das Gegenstände sichtbar macht, selbst aber nicht gesehen wird (Origenes, Princ. I,1,1). Christus dagegen ist Glanz und Bild der Herrlichkeit Gottes (Origenes, Princ. I,2,7), er ist Mittler zwischen Gott und den Menschen (Origenes, Princ. II, „Über Christus“) – das Bildlicht strahlt hinter ihm hervor.
Die Menschen bewegen sich mit ihren soliden und opaken Körpern im Bereich irdischer Sichtbarkeit.
In einer ungewöhnlichen Etymologie verbindet Origenes das griechische „Psyche“ (Seele) mit dem Feuer Gottes. Während Gottes Wort selbst als feurig bezeichnet wird und er „seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen“ macht (Origenes in Princ. II, 8,3 „de anima“ mit Verweis auf Hebr. 1,7, vgl. Ps. 103 [104], 4), so fragt sich Origenes, ob diejenigen, die gottfern leben, nicht in ihrer Liebe zu Gott erkaltet (griech. „psychestai“) seien. Gottnähe wird also durch das Maß, die Intensität an göttlichem Feuer, an Hitze gemessen. Und entsprechend sehen wir, wie bei Tintoretto die Lichtgeister, zunächst noch flammend und wellenförmig, mit der Entfernung vom Rauchgefäß Gestalt annehmen und körperlicher werden, wenn sie auch noch leuchten und diaphan, durchscheinend sind, während die Körper der Menschen fest und opak auf der Erde stehen.
Die Menschen jedoch haben nach Origenes mit ihrer Seele die Möglichkeit, das göttliche Licht entweder anzunehmen oder aber, sich ab- und den dunklen Dingen zuzuwenden. Origenes drückt die Konsequenzen dieser Entscheidung krass aus: Den Ersteren winkt nach der Auferstehung ein Leben in einem ätherischen, spirituellen Lichtkörper, der dem der englischen Wesen gleicht, die Letzteren aber werden in einen schwarzen, dunklen Körper geschlossen sein (Origenes, Princ. Kapitel X „Über die Wiederauferstehung, das Gericht, das Höllenfeuer und die Strafe“).
Neben dem Abstieg vom höchsten, unsichtbaren Licht Gottes über die ätherischen Lichtwesen und den vermittelnden Christus bis zur irdischen Welt sichtbarer, solider, materieller Körper – man wird hier an die Ideenlehre Platos erinnert – gibt es für die Christen mit der Möglichkeit der Anteilhabe auch die des Aufstieges. Und Origenes ist sich des Unterschieds zu Platon sehr bewusst, wenn er sagt, dass Platons Philosophie weder ihm noch seinen Lesern verholfen habe, „eine wahre Verehrung Gottes zu erreichen“, während „die einfache Sprache der heiligen Schrift ihren ehrlichen Leser mit dem göttlichen Geist erfüllt habe, dessen Licht in ihnen genährt werde...“ (Origenes, Princ. V, 12-14).
Aufstieg und Anteilhabe, die in der Lichtmetaphysik des Origenes enthalten und – so scheint es uns – bei Tintoretto lichthaft dargestellt sind, finden im Abendmahl als Opferkult eine konkrete Ausformung. Dem Gemälde Tintorettos ist eine alttestamentarische Szene gegenübergestellt, die auf der anderen Seite des Altars von San Giorgio Maggiore angebracht ist, die Mannalese. Die Mannalese gilt als Typos oder Präfiguration des Abendmahles.
Nach Origenes ist das alttestamentarische Manna neben dem ungesäuerten Brotteig und den Früchten des Palmbaumes Teil eines dreistufigen Erkenntnisweges zu Gott: Beim Auszug aus Ägypten nimmt das Volk ungesäuerten Brotteig mit, in der Wüste lässt Gott das Manna als Wegzehrung vom Himmel regnen und im Heiligen Land isst das Volk von den Früchten des Palmbaumes, der den Baum der Erkenntnis und des Lebens symbolisiert (Origenes, sechste Joshuahomilie).
Und ähnlich finden wir auf Tintorettos Darstellung des Abendmahls, dessen irdische Tischgesellschaft einen Verweis auf die Mannalese bedeutet, eine verschattet dargestellte Dienerin, die Brot reicht, das ihr Gegenüber abzuweisen scheint, um sich Früchten zuzuwenden, während eine weitere, hell angestrahlte Person eine Fruchtschale trägt.
Auch im Zusammenhang des Neuen Testaments und des Abendmahls bemüht Origenes das Symbol des Brotes, das dem Logos und der Wahrheit parallel als Wegzehrung gestellt wird. Da heißt es zunächst: „Das Brot, von dem der Gott Logos bezeugt, dass es sein Leib sei, ist der Logos, insofern er die Seelen nährt“ (Origenes, Comment. Ser. 85). Und weiter schreibt Origenes: „Er wurde nicht von allen, die ihn sahen, auf gleiche Weise angeschaut. Dass er für die eindringliche Betrachtung eine vielfältige Erscheinung war, geht klar hervor aus den Worten wie &Mac226;Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben’, &Mac226;Ich bin das Brot’, &Mac226;Ich bin die Tür’ und vielen anderen Worten“ (Origenes, Princ III, 41). Die Reihenfolge, die das „Ich bin“ einleitet, beginnt mit dem Symbol „Weg“ (für das Beschreiten eines geistigen Pfades) und endet mit der „Tür“ (als der Schwelle zu Gott). Das Brot gilt als die Wegzehrung zu Gott.
Origenes entwickelt sein Konzept der Eucharistie, des christlichen Abendmahles, im Streit gegen heidnische Opferpraktiken. In diesem Zusammenhang gibt es eine sehr aufschlussreiche Bemerkung: Origenes sind vor allem diejenigen Opfer ein Dorn im Auge, die den „Dämonen“ dargebracht werden, weil die Menschen diesen angeblich bestimmte Gaben der Natur verdankten. Origenes beharrt zunächst in gewisser Anschmiegung an diese Logik darauf, dass Gott nicht Dämonen – die doch Mächte der Finsternis seien –, sondern Engel über die Früchte der Erde gestellt habe. Er geht aber noch weiter und besteht darauf, dass die Menschen nicht diesen Engeln etwas schuldig seien – die Engel selbst begehren auch keine Opfer – sondern allein Gott (Origenes, contra celsus, Kap. LVII).
Die Engel haben also direkt mit dem Austausch, der sich in der Eucharistie abspielt und der zwischen Gott und den Menschen mit dem Mittler Christus stattfindet, wenig zu tun. Sie markieren jedoch einen Übergangsbereich, eine Grenze zwischen Irdischem und Göttlichem. Wir haben bereits gesehen, dass sie in der Hierarchie der Lichtmetaphysik zudem eine Art Zielpunkt gesteigerten, jenseitigen Menschseins darstellen.
Aber zugleich entziehen sie sich in Tintorettos Darstellung dem Irdischen, Materiellen, Körperlichen. Nach der Ordnung des Lichtes leuchten sie, sind aber durchsichtig, sie bilden Konturen körperlichen Daseins aus, verbinden sich aber mit den ungreifbaren, flackernden Feuerzungen, sie sind anwesend und doch flüchtig.
Origenes findet eine literarische Formulierung für den Status ihres Daseins: Allein den Propheten, ausgestattet mit der Kraft des Glaubens, ist es demnach möglich, die engelhaften Wesen wahrzunehmen. Und in seinem Stil ausgedehnter Bibelzitate, der von Gleichnis zu Gleichnis und von Vermögen zu Vermögen fortschreitet, schildert er, wie diese die Engel zu sehen vermögen, wie sie in der Lage sind, sie zu riechen, zu schmecken und zu fühlen (Origenes, contra celsus, Kap. XLVIII).
Einige Kunsthistoriker – unter ihnen Stoichita – sind der Meinung, dass es genau die Aufgabe der gegenreformatorischen Malerei war, diese Wesen, die „höheren Regionen“, auch für die weniger vermögenden Menschen darzustellen. Eine schwierige Aufgabe, gilt es doch nicht, etwas eigentlich Unsichtbares sichtbar zu machen, sondern zugleich auch, dieses Unsichtbare als Unsichtbares im Sinne des irdisch Entzogenen darzustellen.
Unsere letzte Überlegung gilt daher der Frage, welche Mittel Tintoretto hatte oder entwickelt hatte, um genau das darzustellen, an dessen Realität er keinen Zweifel hatte, dessen Greifbarkeit und Sichtbarkeit jedoch im prekären Bereich lag, der das Menschliche zu übersteigen tendiert.

Malpraktische und kunsttechnische Aspekte der Darstellung
Der kunsttheoretische Diskurs der Renaissance und auch noch des Manierismus drehte sich um das Verhältnis von disegno und colorito. Das klassische Verhältnis, das die entwickelte italienische Renaissance zwischen der Zeichnung (disegno) und der malerischen Ausführung (colorito) etabliert hat, ist durch eine idealistische Konzeption bestimmt. Die Zeichnung (die Körper, die Gegenstände und deren Anordnung, die für den Darstellungsinhalt, die Geschichte, „storia“, bürgen) ist vor allem geistig konzipiert, zuweilen empfängt sie der große Künstler durch göttliche Inspiration. Das disegno hat das Primat über das colorito – so hat Sebastiano del Piombo zuweilen seine Kompositionen von Michelangelo korrigieren oder gar gänzlich anfertigen lassen und wurde deshalb von Vasari und lange auch von späteren Kunsthistorikern für zweitrangig erachtet.
Bei Tintoretto ergibt sich allmählich eine neue Mischung des Verhältnisses von disegno und colorito. Seinen Kritikern, die ihm im Grunde vorwerfen, seine Malerei vernachlässige das disegno zugunsten der Farben, entgegnet er zunächst überraschend, dass nichts wichtiger sei, als das Studium der Zeichnung. In seiner Malerei aber ersetzen breite skizzenhafte Pinselstriche, die auch in die Endgestalt des Bildes eingehen, immer mehr regelrechte Vorzeichnungen. So wird das concetto sichtbar, materiell, werden die Linien zu Strichen. Linien und Farben durchdringen einander, in gewisser Weise verliert das disegno sein idealistisches Primat. Maßgeblich beteiligt an dieser Malweise ist eine weiterentwickelte Ölmalerei, deren Auftrag nicht mehr opak ist, sondern auf den unteren Schichten transparent bleibt, so dass auch die Farbe des dunklen Grundes in der Farbharmonie des Bildes mitspielt.
Die zeitgenössischen Betrachter der Malerei Tintorettos bemerkten mit Erstaunen, dass die aus der Nähe unfertig und skizzenhaft wirkenden Bilder sich mit zunehmender Entfernung zum Eindruck wohlausgearbeiteter, vollplastischer Szenen zusammenschließen. In der Betrachtung selbst erst scheinen sich die Szenen zu materialisieren, der Betrachter wird in den Prozess von Entwurf und Realisierung hineingezogen.
Einem bestimmten Gegenstandsbereich hat daher auch Tintoretto diese Malweise besonders gewidmet. Atmosphärische, transitorische Phänomene, wie sie aus Wetterscheinungen wie Nebel, Wasserdunst oder Lichtwechseln bekannt sind, aber auch flackerndes Feuer und der Nahsicht entzogene, entfernte oder finstere Bereiche sind in dieser Weise dargestellt und oft von geisterhaften Wesen bevölkert, deren Körper sich aus dem Grenzbereich von Sichtbarem und Unsichtbarem entwickeln. Ihnen ist meist selbst eine atmosphärisch-immaterielle Existenzweise eigen, sie sind durchsichtig, schwebend und flüchtig.
Es nimmt daher nicht wunder, dass Tintoretto diese Malweise und die daraus hervorgehenden geisterhaften Wesen im Abendmahl mit einer solchen Meisterschaft und Leidenschaft ausgeführt hat.
Der „dynamische Substanzbegriff der katholischen Kirche“ (Max Raphael) kommt insbesondere in der Eucharistie zum Ausdruck, im Moment der Umwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi.
Die feiernde Gemeinde, die sich dem Altar nähert, vor dem Brot und Wein als Leib und Blut dargeboten werden, erblickt das Gemälde, und hier kehrt sich der oben beschriebene Vorgang um: Die Festigkeit und Körperlichkeit der Lichtwesen löst sich mit zunehmender Nähe auf zur kaum greifbaren Flüchtigkeit engelhafter Wesen.
Lichtmetaphysik und irdische Lichtrealität, Malpraxis und Kunsttheorie, Ikonographie und Theologie – all dies ist meisterhaft verschmolzen zu jenem beeindruckenden Gemälde des späten Tintoretto.

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