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Erleuchtung in Süd-Manhatten

Lightcut – eine Rauminstallation von Michaela Habelitz im Aedes East Extension Pavillon

Katalogtext zur Ausstellung „LIGHTCUT – eine Rauminstallation“ von Michaela Habelitz im Aedes East Extension Pavillon vom 11. April bis 18. Mai 2003.

Ein Zufallsfund nur, der am Anfang stand: Am letzten Abend eines mehrwöchigen New York-Aufenthaltes entdeckte Michaela Habelitz neben Abfalltonnen eine Tüte mit den weggeworfenen Gedenklichtern einer buddhistischen Gemeinde. Die Kerzen waren bereits woanders entsorgt. Die Künstlerin war nur auf die leeren Hüllen gestoßen, die es für sie aber dennoch in sich hatten. Nur sieben Zentimeter groß, bestehen sie aus einem aufrecht stehenden, goldfarbenen Aluminiumbehältnis, das vorne von einer kleinen Plexiglasscheibe geschlossen wird. Die nach ihrem Gebrauch achtlos weggeworfenen Gedenklichter besitzen die unserem westlichen Kulturraum ebenfalls bekannte Mandorla-Form, die im hiesigen Kontext allerdings eine Madonna umschließt. In diesem Fall ist in die mandelförmige Rahmung aus Metall eine buddhistische Gottheit gestanzt. Sie bildet den Hintergrund für die im Aluminiumgehäuse aufgestellte Kerze, von der noch Rußspuren zeugen. Davor befindet sich eine nach Entzünden eingesetzte Plexiglasscheibe ebenfalls in Mandorls-Form, die mit flüchtigen chinesischen Schriftzeichen in Rot überdeckt ist. Vermutlich sind darin die Namen der angeflehten Gottheit, des Angehörigen, für den gebetet wird, oder die Fürbitte selbst zu lesen. Ein Zufallsfund nur – und doch kein Zufall. Sowohl das Verwerten vorgefundener Materialien, ihr serieller Einsatz als auch die Auseinandersetzung mit ihrer spirituellen Aura gehören zu den Arbeitsprinzipien von Michaela Habelitz. Die Künstlerin selbst kommentiert den Zufallsfund mit der halb scherzhaften Bemerkung „Die Erleuchtung traf mich in Süd-Manhattan“. Sie weiß um die sensible Ausgangssituation, dass nur derjenige findet, der nicht sucht. So zieht sich die Beschäftigung mit Gegenständen des Alltags wie ein roter Faden durch ihr Werk: mal sind es Wurfpfeile, mal blumenförmige Plastikteller, die zum Kunstgegenstand nobilitiert werden. Das Prinzip ist seit der Popart bekannt; so lassen sich die Plastikteller in Blumenform auch als entfernte Grußadresse an Andy Warhols „Flowers“ lesen. Michaela Habelitz beschreitet jedoch den umgekehrten Weg. Ihr geht es um die Erhebung des Alltäglichen, gerade nicht die Trivialisierung des Künstlerischen. Durch die Reihung, in der sich die Alltagsgegenstände präsentieren, wird der Blick zunächst für deren besondere Formung und Stofflichkeit sensibilisiert, ihre Erscheinung und Materialität also. Das Auge folgt mit einer neu geweckten Neugierde der Linie eines völlig banalen Objektes, mag darin plötzlich einen kühnen Schwung oder sogar Eleganz entdecken. Zu den gängigen Methoden der Blickführung würde es nun gehören, die Perspektive noch einmal umzuleiten, die antrainierten Sehgewohnheiten des Kunstroutiniers zu brechen und den Alltagsgegenstand erneut zu desavouieren. Michaela Habelitz gibt jedoch die von ihr eingesetzten Objekte nicht wieder preis. Durch die Verwendung von Bienenwachs und Blattgold steigert sie sogar deren Veredelung. Die Künstlerin bedient sich hier bis ins Mittelalter zurückgehender Materialcodes, die auch heute ihre Wirkung haben. So stellt sich fast von alleine ein quasi-religiöser Kontext ein. Dieser wurde 1992 evident bei ihrer Installation in der Mönchskirche Salzwedel oder durch die Verwendung von Madonnenbildnissen und Kreuzmotiven in collagenartigen Bildern. Diese verschiedenen Strömungen im Werk von Michaela Habelitz fügen sich auf wunderbare Weise noch einmal zusammen in dem Zufalls- oder vielmehr Glücksfund in einer Seitenstraße von SoHo. Gezielt setzt die Künstlerin die spirituelle Kraft der ausgedienten buddhistischen Gedenklichter ein. Aus einem anderen Kulturkreis kommend, bleiben wir jedoch von ihr ausgeschlossen, da wir ihre korrekte Verwendung, ihre eigentliche Bedeutung nur vermuten können. Die Künstlerin öffnet damit einen Spannungsraum, der in der zeitgenössischen Kunst nur selten betreten wird. „In unserer angeblich atheistischen, hedonistischen, posttraditionellen, säkularen Kultur, in der niemand bereit ist, seinen Glauben einzugestehen, ist die zugrunde liegende Struktur des Glaubens dafür umso weiter verbreitet: Wir alle glauben heimlich“, so Slavoj Zizek, in seinem Buch „Die gnadenlose Liebe“ (Slavoj Zizek: Die gnadenlose Liebe. Frankfurt/Main 2001, S. 9.). Michaela Habelitz macht mit ihrer Installation diesen Widerspruch sichtbar. Der schlichte Ausstellungskubus der Architekten Nietz-Prasch-Sigl-Tschoban-Voss bietet den idealen Rahmen für Michaela Habelitz’ Installation in der Galerie Aedes-East. In den Raum sind zwölf satinierte, Licht speichernde Plexiglasscheiben an Nylonfäden gehängt, die zusammen eine ovale Grundform bilden. Sechs der rotgrundigen Scheiben zeigen das Gesicht des Buddhas von den Gedenklichtern, das nun in einem „blow up“-Verfahren auf die hundert mal hundert Zentimeter großen Tafeln gefräst wurde. Durch Anbringung einer Lichtschiene am oberen Rand der Scheiben beginnen die bearbeiteten Zonen innerlich zu leuchten, was den Buddhas trotz der Verfremdung eine mystische Aura verleiht. Die anderen sechs Tafeln sind von Hand bearbeitet. Die Künstlerin hat in das noch weiche, gestisch aufgetragene Bienenwachs das Motiv der Buddha-Figur gestempelt. Tritt man von außen an den Ausstellungskubus heran, erscheint er geradezu wie ein Lichtschrein. In seiner Klarheit und Rationalität bildet er den Gegenpol sowohl zum transzendenten Moment als auch zur kitschigen Erscheinung der buddhistischen Gedenklichter, dem Ausgangspunkt der Installation von Michaela Habelitz. Die Kühle der Architektur offenbart noch einmal die Spannweite zwischen dem bisschen Blech und Plastik einerseits und dessen emotionaler Aufgeladenheit andererseits. Und zugleich der Glaubenssache Kunst.

Der Aedes East Extension Pavillon befindet sich in der
Rosenthaler Straße 40-41, Hackesche Höfe, Hof III
10178 Berlin
Tel.: 030 – 28 27 015 | Fax: 030 – 28 39 466
E-Mail: aedes@baunetz.de

Die Verfasserin des Katalogtextes ist
Nicola Kuhn, Lehrbeauftragte am Institut für Kunstgeschichte der Freien Universität Berlin und Kunstkritikerin des Tagesspiegels. Nicola Kuhn sprach auch bei der Eröffnung der Ausstellung.

Nicola Kuhn, geb. 1962 in Mannheim, Studium der Kunstgeschichte, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Neuerer Geschichte in Köln und Hamburg, Hospitanz im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, arbeitet als Kunstkritikerin in Berlin, seit 1991 als Redakteurin im Feuilleton des „Tagesspiegel“.


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