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Nachttopf bei Gerichtssitzungen

Wie die Antike den alten Menschen sah und mit ihm umging

von Ernst Baltrusch

Wer im demokratischen Athen sechzig wurde, hatte nicht viel zu lachen: Die Gesellschaft Athens grenzte alte Menschen systematisch aus. Anders verhielten sich die Römer oder Spartaner, die den alten Menschen wegen seines umfangreichen Wissens achteten. In seinem Beitrag schildert der Althistoriker Prof. Dr. Ernst Baltrusch, wie unterschiedlich antike Gesellschaften alte Menschen behandelten, wie Alte gesetzlich abgesichert waren und wie sich das Bild des Greises in Komödie und Tragödie widerspiegelt.

„Knabe zuerst ist der Mensch, unreif: da wirft er der Zähne Hag, der dem Kinde entspross, von sich im siebenten Jahr. Wenn zum anderen Mal Gott schloß die Sieben der Jahre, Zeichen der Mannheit dann keimen, der nahenden, auf. Während der dritten umkraust sein Kinn – noch wachsen die Glieder – Wolliger Flaum, da der Haut Blüte im Wandel verwich. Nun in den vierten empor zu hohem vollem Gedeihen
Reift die Stärke, in ihr zeigt was tauge der Mann.
Mit den fünften gedeiht ihm die Zeit, der Freite zu denken
Und dass in Söhnen ersteh fürderhin währender Stamm.
Während der sechsten da breitet der Geist allseits sich ins Rechte,
Nimmer zu unnützem Tun treibt ihn hinfort noch der Mut.
Sieben Siebenerjahre und acht: im vollen Gedeihen
Stehen Zunge und Geist: vierzehn an Jahren zusamt.
Noch in den neunten ist tauglich der Mann, doch lässiger zeigen
Gegen das volle Gedeihn Zunge fortan sich und Witz.
Wer in die zehnten gelangte, die zehnten nach Maßen vollendend,
Kaum zur Unzeit wärs, träf ihn die Neige des Tods.“

Kein geringerer als Solon, Athens erster großer Staatsmann, hat diese Verse über „Alter und Altern“ um 600 v. Chr. gedichtet (Fragment 19 Diehl). Er legte die Lebensdauer idealtypisch auf zehn „Jahrsiebte“ fest, wobei nach seiner Ansicht das Alter im neunten „Jahrsiebt“ – also mit 56 Jahren – beginnt. Der Psalmist (Ps. 90,10) formulierte: „Die Fülle unserer Jahre ist 70, bei guter Kraft auch 80“ – eine in der Antike weithin gültige Auffassung. Die Schwelle zum Alter lag bei sechzig Jahren, wovon das lateinische Wort „Senat“ kündet, in den ursprünglich die über 60-Jährigen gelangten. In Abhandlungen über das Alter existieren auch Listen von so genannten Langlebigen, die achtzig, neunzig, hundert Jahre wurden. Das absolute Maximum an Lebensdauer vermutete Tacitus bei 120 Jahren (Tacitus, Dialogus de oratoribus 17,3). Für die antiken Gesellschaften hat die moderne Forschung eine weitaus geringere Lebenserwartung als heute ermittelt, was zum Teil auf der hohen Kindersterblichkeit beruht. Der Anteil der Alten an der Gesamtgesellschaft lag bei rund fünf Prozent (heute: über 20 Prozent). Wer das Säuglings- und Kleinkinderalter überlebte, konnte nach antiken Zeugnissen jedoch auch mit einer „normalen“ Lebensdauer rechnen.

Die Lebenswelt des alten Menschen in der Antike war fast durchgehend ländlich geprägt, große Städte waren an einer Hand abzuzählen. Die größte von ihnen, Rom, zählte gerade Mal eine Million Einwohner, während in Athen, Korinth, Köln oder Trier oftmals weniger als 100.000 Einwohner, in durchschnittlichen Städten nur 5 bis 6.000 Einwohner lebten.

Alte Menschen bildeten in den antiken Gesellschaften keine homogene Gruppe: Die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht, der personale Status – und damit verbunden das Bürgerrecht – bestimmte die Lebenswirklichkeit. Lebensmittelpunkt der alten Menschen war aber, mehr als heute, die Familie. Diese war verpflichtet, für das Wohlergehen der Alten zu sorgen. Gesetz und Sitte gaben den Familienältesten eine starke Stellung in Sparta und Rom: der Paterfamilias war bis zu seinem Tode Familienoberhaupt, der Materfamilias gebührte eine besondere Ehrenstellung.

Das radikaldemokratische Athen grenzte dagegen seine Alten aus und ließ sie an der Demokratisierung nicht teilhaben, da Dynamik, Schnelllebigkeit und Innovation die athenische Gesellschaft bestimmten. In der athenischen Familie fand mit sechzig ein Generationswechsel statt, im öffentlichen Raum verlor die Wissensweitergabe und Wertevermittlung als traditionelle Aufgabe alter Menschen an Bedeutung. Die griechische Tragödie und Komödie richteten in ihrer Funktion als „institutionalisierte politische Pädagogik“ (Egon Flaig) ihren Blick auf den Generationenkonflikt. In seiner Alkestis zum Beispiel verwies Euripides in schonungsloser Offenheit den alten Menschen aus dem öffentlichen Leben und forderte die Hintenanstellung der eigenen Bedürfnisse. Von ganz anderer Seite wurde die Alterswirklichkeit im klassischen Athen kritisiert: von der politischen Utopie Platons. Die Konstruktion eines Idealstaates integrierte die Älteren, gerade weil sie in der Heimatstadt des Philosophen zunehmend an den Rand gedrängt wurden.


Euripides (485 – 406 v. Chr.), Römische Kopie.

Staatlich gelenkte soziale Sicherungssysteme für das Alter gab es weder in Athen noch in Rom – der Staat sorgte zwar in Rom für mittellose Jugendliche, die Altersvorsorge war jedoch Privatsache. Schon Horaz nahm die Rastlosigkeit seiner Mitmenschen aufs Korn und erklärt sie damit, dass Bauern, Seeleute, Soldaten Händler und sogar der betrügerische Kneipenwirt schaffen und raffen wie die Ameisen, damit sie sich im Alter einen schönen Lebensabend leisten können (Sermones 1,1,31).

Wichtiger noch als die Altersvorsorge waren die Versorgung der Kinder für ihre Eltern. Hesiod beklagte bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. die modern anmutenden Entwicklungen: „Bald missachten sie dann ihre altersgebeugten Erzeuger“, prophezeit er, „mäkeln an ihnen und fahren sie an mit hässlichen Worten, rücksichtslos, und scheuen nicht die Götter; geben dann auch nicht ihren greisen Erzeugern zurück den Entgelt für die Aufzucht“ (Erga 185 ff.).

Generationenvertrag als Geldgeschäft

In Griechenland und Rom waren die Nachkommen gesetzlich verpflichtet, für die eigenen Eltern im Alter zu sorgen. Wer dieser Aufgabe nicht nachkam, der musste mit Haft und im schlimmsten Fall sogar mit der Todesstrafe rechnen. Platon verglich das Generationenverhältnis mit einem Geldgeschäft, bei dem
die Jungen die Schuldner, die Älteren die Gläubiger seien und im Alter ihre Schuld einklagen können (Gesetze 4, 717 b). Jedoch band die antike Version des Generationenvertrages beide Seiten: Hatten die Eltern sich geweigert, ihren Kindern eine Berufsausbildung zu ermöglichen oder sie zur Prostitution gezwungen, dann waren die Kinder – nach Solon – von der Fürsorgepflicht befreit (Plutarch, Solon 22,4).
Diese Fürsorgepflicht fand auch Eingang in das römische Recht, das Corpus Iuris, in dem eine Vielzahl von Bestimmungen belegt, dass der römische Staat auf diese konkreten Missstände reagierte. Der antike Staat kümmerte sich also auf eine gesetzgeberische Art um die Altersvorsorge, bei der bestimmte Berufsgruppen privilegiert waren: Politiker hatten es besonders gut und konnten beispielsweise ein lebenslanges Speiserecht im Rathaus erlangen.

Auch Witwen standen unter dem besonderen Schutz des Staates – sie wurden allerdings seit Kaiser Augustus dazu verpflichtet, wieder zu heiraten. Die Kindespflicht, sprich die Altersversorgung, wurde bei Kriegsinvaliden oder den Eltern gefallener Soldaten von der öffentlichen Hand übernommen und das römische Reich kümmerte sich ebenfalls um ausgediente Soldaten, die Veteranen, die nach 16, 20 oder 25 Jahren Dienst im römischen Heer Anspruch hatten auf ein Stück Land sowie eine Altersversorgung für sich und ihre Familien.

Prototyp eines Rentners

Zahlreiche Gesetzestexte des römischen Rechts belegen darüber hinaus, dass römische Kaiser den Prototypen eines Rentners geschaffen hatten: Mit 60 oder 70 Jahren konnte der öffentliche Dienst beendet werden. Eine Rente im heutigen Sinne erhielt man aber nicht, sondern war lediglich von gewissen Lasten, die als Bürger aufgebracht werden mussten, befreit. Kaiser Konstantin formulierte als Erster im Jahre 320 das Recht auf einen gesicherten Lebensabend: „senectus eorum post labores quiete perfruatur“. Die sonst vorgeschriebene Pflicht zur Ehe entfiel ebenfalls: Für Männer ab 50 und für Frauen ab 60 Jahren, weil man, wie ein Jurist es formulierte, ab diesem Alter ganz und gar oder teilweise zur Zeugung unfähig sei.

Wie wurde nun in der Antike das Alter und das Altern medizinisch gedeutet? Die koische Schule, deren berühmtester Vertreter Hippokrates (geb. 460 v. Chr.) war, ging davon aus, dass der menschliche Körper vier Säfte in sich habe: Blut, Schleim (Phlegma), gelbe und schwarze Galle. Zu jeder Jahreszeit, an jedem Ort und in jedem Lebensalter sind die vier Säfte in einem jeweils anderen Mischungsverhältnis vorhanden, wobei das Verschwinden eines der vier Säfte den Tod bedeutete und jede qualitative und quantitative Veränderung des Mischungsverhältnisses Schmerzen und Krankheiten verursachte. Die Säfte selbst standen sowohl für das Lebensalter als auch für die Jahreszeiten: Blut bedeutete Kindheit und Frühling, die gelbe Galle Jugend und Sommer, die schwarze Galle die Blüte des Lebens und Herbst und schließlich wurde der Schleim (Phlegma) mit dem alten Menschen und dem Winter gleichgesetzt (Hippokrates, De natura hominis 4; Galen, über die Lehren des Hippokrates und Platon 8,6). Daraus leiteten die Hippokratriker spezifische Alterserscheinungen und Krankheiten ab, zum Beispiel brachten sie das häufige Auftreten von Bronchialerkrankungen und Schnupfen mit dem Schleim in Verbindung.

Blut, Schleim und Galle

Mit Hilfe dieser Säftelehre entwickelte Galen, der berühmteste Arzt römischer Zeit (2. Jh. n. Chr.), die Geriatrie als Teil seiner Kunst. Seele und Körper waren für Galen untrennbar und er sah es als erwiesen an, dass Alterserscheinungen wie Vergesslichkeit, Halluzinationen und Geschwätzigkeit auf ein Ungleichgewicht im Alter zurückzuführen waren. Das Alter selbst sei aber keine Krankheit, sondern ein Mangel an Vollkommenheit. „Was alle Menschen Alter nennen“, so Galen, „ist die kalte und trockene Säftemischung im Körper, die als Folge der langen Reihe von Jahren entsteht“. Wärme und Feuchtigkeit müssen also zugeführt werden, und zwar durch Nahrung, Massagen und Gymnastik. Das war medizinisch umstritten, schien doch diese Behandlungsmethode offenkundig der hippokratischen Lehre vom Alter als phlegmatisch (schleimig) zu widersprechen, da die bestehende Meinung vieler Ärzte davon ausging, dass das Alter an einem Zuviel an Schleim (im Magen) leide und deshalb eher „trockengelegt“ werden müsse und sie vergaßen darüber, zwischen der altersbedingten Trockenheit des Körpers und der überflüssigen Magenfeuchtigkeit zu unterscheiden.

Besonders dürften sich die von diversen Altersbeschwerden geplagten Menschen über den nachdrücklich vorgetragenen Rat Galens gefreut haben, viel feurigen Wein zu trinken, denn der sei wärmend und harntreibend. Ein von Galen empfohlener Tagesablauf scheint dem eines heutigen Kurorts nachempfunden: Nach dem Aufstehen eine erste Massage, gegen neun Uhr Frühstück mit Brot und attischem Honig, danach leichte oder anregende Gespräche mit Freunden, oder wahlweise: in Ruhe Lektüre (bis 13 Uhr). Anschließend Besuch eines öffentlichen Bades mit Massagemöglichkeit und Sportbetrieb (zum Beispiel Ballplätzen). Danach Waschen und eine Mahlzeit, deren Speisen den Magen nicht belasten und abführend wirken, anschließend Fisch (möglichst Salzwasser) (Galen, De sanitate tuenda 2,4). Mit einer auf das Alter abgestimmten Lebensweise könne man die altersbedingten Beschwerden und Krankheiten wie Heiserkeit, Schnupfen, Steinbildung in den Nieren, Gicht, Podagra, Asthma, Schwindel, Schwierigkeiten beim Harnlassen, Sehschwäche, Schlaflosigkeit und Verstopfung wirksam bekämpfen.

Zudem sollte man einen Beruf wählen, den man auch im Alter noch ausüben könne. Nach antiker Vorstellung gab es zwei Arten von Berufen – die ehrenhaften und die verächtlichen. Verächtlich waren die körperlich anstrengenden Berufe, mit Ausnahme der Landwirtschaft, die man im Alter nicht mehr ausüben könne. Ehrenwert hingegen waren Politik, Musik, Jurisprudenz und als Gipfelpunkt (jedenfalls im Urteil der Ärzte selbst): die Medizin – ideal auch als Alterstätigkeit.

Herr der tollen, wilden Triebe

Als eine von mehreren Phasen des menschlichen Lebens ist das Alter in der griechisch-römischen Literatur allgegenwärtig. Dichter, Mediziner, Politiker, Historiker, Philosophen, Redner, Maler, bildende Künstler – der Fundus an Quellen über das Alter ist nahezu unerschöpflich. Die Urteile darüber könnten unterschiedlicher nicht ausfallen, je nachdem, wer spricht und welcher Aspekt des Alters hervorgehoben wird. Wollte man eine Statistik aufstellen, die 1. das Lob des Alters, 2. die Kritik am Alter und 3. neutrale Meinungen zusammenstellte, so würden wohl keine signifikanten Unterschiede erkennbar sein. Das Altersbild der Antike gibt es nicht, da das Alter an sich weder Leistung noch Krankheit ist und die Einstellung der Menschen gegenüber dem Altern stark mit den persönlichen Altersvorstellungen zusammenhing.

Fangen wir bei der positiven Betrachtung des Alters an. Die Spartaner achteten das Greisenalter so sehr, dass sie nur den über 60-Jährigen den Zugang zum politisch bedeutenden Ältestenrat, der Gerusia, gestatteten. Bei den regelmäßigen gemeinsamen Mahlzeiten bekamen die älteren Spartaner Ehrenplätze und Ehrenportionen und man schätzte den Rat der älteren Menschen – in Sparta, Rom und anderswo.


Hydria: Phoenix und Odysseus bei Achilles, um 490 v. Chr.

Die Hochschätzung der alten Menschen fand Eingang in Philosophie und Literatur. Homer schuf mit Achilles, Odysseus und Hektor klassische Kriegshelden. Daneben mit Nestor aber, dem greisen achtzigjährigen Fürsten von Pylos, einen klassischen Greis, der aus der Weisheit seines Alters schöpft und mit seinem Rat als „Wissenspeicher“ den Jungen zur Seite steht. So nimmt Nestor gelassen die unumgänglichen Altersbeschwerden hin, denn er findet auch ohne Kriegsrüstung seinen Platz in der Gemeinschaft.

Platon lässt in der berühmten Eingangsszene seines „Staates“ das Greisenalter „freisprechen“ von den Anklagen der Menschen, die das Alter für die Ursache aller Übel halten. Der Greis Kephalos hingegen weiß es besser: „Die Klagen hierüber (haben) nur eine einzige Ursache, nicht das Alter, sondern die Sinnesart der Menschen“. Was diese nämlich am Alter bejammern – dass man nicht den Lebensgenüssen in vollem Umfange nachgehen könne –, sei eher ein Grund zur Freude: Schließlich sei man einen wilden und tollen Herrn, den Trieb, losgeworden. Dementsprechend spielen die Alten in Platons Idealstaat eine zentrale Rolle. Platons positives Urteil über das Alter hatte sein größter Bewunderer, der Römer Cicero, aufgenommen und in seiner eigens über das Greisenalter verfassten Schrift „de senectute“ weiter ausgeführt. Darin wandte er sich gegen vier vorherrschende Lehren über die Nachteile des Alters, das angeblich von Taten abhalte, den Körper schwäche, von Vergnügen abhalte und dem Tode nahe sei. Cicero entlarvte diese Nachteile als zu widerlegende Vorurteile, da man mit speziellen gymnastischen Übungen körperlichen Beschwerden begegnen könne und landläufige „Vergnügung“ nicht nur im Alter zu bekämpfen seien; das höchste Vergnügen biete die Landwirtschaft, an der auch ein hochbetagter Mensch noch partizipieren könne. Der wahre Wert des Alters bestehe jedoch in Erfahrung, Weisheit und Gleichmut.

Warum Sophokles entmündigt werden sollte

Der positiven Sicht auf das Alter steht der kritische Blick auf das Alter als Verlust und Übel gegenüber. Im Vordergrund steht die körperliche Gebrechlichkeit und Schwäche sowie das damit zusammenhängende vermeintlich unattraktive Äußere alter Menschen. „Warum wünschen sich die Menschen eigentlich ein hohes Alter?“, fragt Juvenal (10, 188ff.). Zittrige Glieder, Runzeln überall, feuchte Nasen, zahnloser Mund – sei das etwa erstrebenswert? In die gleiche Richtung weist ein alter Hymnus auf die Liebesgöttin, der von einem Unglück besonderer Art berichtet. Die schöne Göttin der Morgenröte, Eos, war verliebt in den strahlenden Jüngling Tithonos. Der war aber ein Mensch und daher sterblich. Im Interesse ihrer Liebe ließ Eos ihm daher – ganz außergewöhnlich – Unsterblichkeit von Zeus verleihen. Allerdings hatte sie vergessen, ihm auch die ewige Jugend zu wünschen – und so alterte Tithonos, bis er schließlich krumm und unbeweglich war. Liebe, zumal die körperliche, war mit Alter nicht vereinbar, so lautet das Fazit dieses tragischen Falls.

Ein weiteres Thema der Kritik war der Altersschwachsinn. Die medizinischen Autoren äußerten sich dazu nur beiläufig, aber Aristoteles kritisierte vehement das spartanische System, nur die über 60-Jährigen in den Rat zu lassen: Er vermutete ziemlich viele Wirrköpfe in diesem Gremium. Das früheste römische Gesetz, die 12 Tafeln, stellten furiosi generell, auch wenn es sich um den Familienvorstand handelte, unter die Tutel der nächsten Angehörigen. Dieses Schicksal drohte auch Sophokles. Sein Sohn fand, er sei mit seinen 90 Jahren senil und nicht mehr zurechnungsfähig und forderte vom Gericht in Athen, dass er entmündigt werde. Daraufhin zitierte Sophokles vor den Richtern seinen Ödipus auf Kolonos, ein Stück, in dem das Alter verdammt wird: „Nicht geboren zu sein, das geht über alles; doch wenn du lebst, ist das zweite, so schnell du kannst, hinzugelangen, woher du kamst“ (1224 ff.). Die Richter sahen in der Gültigkeit dieses Satzes einen Beleg für des Dichters Geisteskraft und wiesen den Antrag zurück. Und schließlich wurde dem alten Menschen ein eigentümlicher Charakter zugewiesen. Mürrisch, verdrießlich, jähzornig, eigensinnig, habgierig, geizig (Cicero, De senectute 65) – ein perfektes Reservoir also für das Theater.

Die athenische Komödie war ein besonderes Medium, alte Menschen zu karikieren und die periphere Rolle der Alten in der Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Es gibt kaum ein Stück ohne den „typischen Alten“. Die Komödie Wespen des Aristophanes ist ein Lehrstück darüber, wie boshaft man im demokratischen Athen mit den Alten umgehen konnte. Da wird dem alten Philokleon ein Nachttopf während einer Gerichtssitzung gebracht, weil er unter Harnzwang leide; ein Hahn wird vor ihn postiert, ihn zu wecken, falls er wieder mal einschlafe. Er ist streitsüchtig, kann keine Gerichtssitzung auslassen, strotzt vor Taktlosigkeit, besäuft sich, misshandelt eine Bäckersfrau und einen alten Mann, ist unbelehrbar und eigensinnig. Auch in den römischen Komödien des Plautus und Terenz sind alte Männer geizig und herrisch, uneinsichtig und realitätsfern. Besonders drastisch werden jedoch alte Frauen porträtiert. Äußerlich neuzeitlichen Hexen gleichend, sind sie gleichwohl immerfort auf Männerjagd; besonders anschaulich wird in den „Ekklesiazusen“ des Aristophanes die bizarre Situation ausgemalt, dass ein schöner junger Mann zuerst die Gier dreier alter Weiber befriedigen muss, bevor er seine Angebetete aufsuchen darf; so hatten es nämlich die Frauen, die die Herrschaft in der Komödie übernommen hatten, gesetzlich verfügt.


Portrait eines alten Mannes, Palästina, 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr.

So erweist sich die Antike in ihrer Verbindung mit der jüdisch-christlichen Tradition einmal mehr als Grundlage europäischer Traditionen. Menschen waren alt ab 60 und wurden (wenigstens tendenziell) aufs Altenteil gesetzt und hatten mehr oder weniger Anspruch auf Versorgung. Das demokratische Athen war altersfeindlich, das kriegerische Sparta und das republikanische Rom altersfreundlich. Der Alterungsprozess selbst weckte das Forscherinteresse der Mediziner, die auch bereitwillig Ratschläge für eine altersgerechte Lebensweise und Ernährung erteilten. Die Auseinandersetzung der Antike mit dem Alterungsprozess und den alten Menschen war geprägt von den beiden entgegengesetzten Typen von Altersbildern: Verlust und Lernprozess. In römischer Zeit kann man Ansätze eines stärkeren staatlichen Zugriffs auf die Versorgung und das Ausscheiden aus dem Berufsleben älterer Menschen feststellen, so dass sich der Unterschied zwischen damals und heute wohl nur auf die Möglichkeiten, nicht auf die Grundsätze staatlichen Handelns zurückführen lässt.

Literatur:

H. Brandt: Wird auch silbern mein Haar. Eine Geschichte des Alters in der Antike, München 2002

A. Gutsfeld/W. Schmitz (Hrsg.): Am schlimmen Rand des Lebens? Altersbilder in der Antike, Köln/Weimar/Wien 2003 (in diesem Band befindet sich auch ein größerer Beitrag von Prof. Baltrusch: „An den Rand gedrängt. Altersbilder im Klassischen Athen“, S. 57 – 86)

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