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Abbildungen: Asmis/Kühn

Bausteine des Wassers unter der „Laserlupe"


von Knut Asmis und Oliver Kühn

Das Vertrautsein, ja die Allgegenwart des Wassers, lässt es unmöglich erscheinen, dass es in Bezug auf das Verständnis der makro- und mikroskopischen Eigenschaften des Wassers irgendwelche substantiellen Unklarheiten geben könnte. Und doch, ungeachtet einer langen Geschichte der wissenschaftlichen Erforschung, gibt uns das Wasser immer noch Rätsel auf, die erst in der jüngsten Vergangenheit durch den konzertierten Einsatz moderner experimenteller und theoretischer Methoden allmählich entschlüsselt werden.

Eine Eigenschaft des Wassers, deren Konsequenzen uns geläufig sind, ist seine maximale Dichte bei 4 Grad. Dies führt zum Beispiel dazu, dass Eis auf flüssigem Wasser schwimmt oder dass im Winter Seen immer erst an der Oberfläche und dann von „oben nach unten“ gefrieren. So bleibt auch bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt das Wasser am Grund eines Sees oft flüssig.

Dieses Verhalten ist uns unter dem Begriff der Anomalie des Wassers bekannt. Es handelt sich dabei um eine makroskopische Eigenschaft, die sich auf atomarer Ebene aus dessen netzwerkartigem Aufbau aus Wassermolekülen ableiten lässt. Neben dieser Unregelmäßigkeit in der Temperaturabhängigkeit der Wasserdichte gibt es eine Vielzahl anderer physikochemischer Eigenschaften des Wassers, welche auf diesen molekularen Verbund von Wassermolekülen zurückzuführen sind. Von diesen wollen wir eine ganz besondere, nämlich die erhöhte Mobilität von protonierten Wassermolekülen, hier näher unter die Lupe nehmen.

Die Vernetzung einzelner Wassermoleküle ist auf die Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen (O-H···O), oder kurz Wasserstoffbrücken, zurückzuführen. Sie spannen einerseits Tetraeder auf, in deren Zentren sich jeweils ein Sauerstoffatom befindet. Andererseits ist die chemische Bindungsenergie einer Wasserstoffbrücke nicht sehr viel größer als die thermische Energie der atomaren Bewegungen bei Raumtemperatur. Dies hat zur Folge, dass die thermische Bewegung allein schon dazu führt, dass Wasserstoffbrücken ständig aufgebrochen und neu gebildet werden. Mit abnehmender Temperatur friert dieses Netzwerk aus und man hat es mit Eis in seiner Vielfalt an Formen zu tun.


Abbildung 1: Vereinfachte Darstellung des Grotthuss-Mechanismus,der die erhöhte Mobilität von Protonen im Wasser erklärt. Ausgangspunktist ein Oxonium-Ion H3O+ (gelber Bereich). Durch Umlagerung derBindungselektronen kann die positive Ladung über größere Distanzen durch ein Netzwerk von Wasserstoffbrücken (blau) befördert werden, ohne dass die Protonen (grau) sich dabei substantiell bewegen. Einegeringfügige Verschiebung, angedeutet durch die kleinen Pfeile, reicht aus, damit ein Proton seinen Platz von einem Sauerstoffatom (rot) zumbenachbarten wechselt

Große Aufmerksamkeit ist der Diffusion von Ionen in wässriger Lösung gewidmet worden. Hierbei fällt insbesondere auf, dass protonierte Wassermoleküle im Vergleich zu anderen Ionen (zum Beispiel Natriumionen) substantiell „beweglicher“ sind. Dies ist deswegen so bemerkenswert, da ein protoniertes Wassermolekül, das Oxonium-Ion H3O+, hinsichtlich seiner Größe vergleichbar mit einem Na+-Ion ist, aber seine Mobilität in Experimenten als fünfmal höher nachgewiesen wurde. Der zugrunde liegende Mechanismus wurde bereits vor ca. 200 Jahren durch Theodor von Grotthuss – einem nonkonformen Gelehrten aus baltischem Adelsgeschlecht – postuliert. Jedoch erst nach der Einführung des Konzepts der Wasserstoffbrückenbindung durch M.L. Huggins, W.M. Latimer und W.H. Rodebush von der Universität Berkeley um 1920 konnte der Mechanismus der Diffusion zumindest qualitativ auf mikroskopischer Ebene erklärt werden (siehe Abb. 1). Ausgangspunkt ist ein Oxonium-Ion, welches über eine Wasserstoffbrücke mit einem benachbarten Wassermolekül verbunden ist. Die thermische Bewegung der Sauerstoffatome kann nun zu einer Verkürzung der Wasserstoffbrücke führen, wodurch es dem Proton ermöglicht wird, seinen Platz von einem Sauerstoffatom zum nächsten zu wechseln. In diesem Sinne kann sich die positive Ladung schließlich durch das Wassernetzwerk bewegen, ohne dass sich die daran beteiligten Atome selbst substantiell von ihren Positionen entfernen müssen. Anhand dieses Mechanismus ist auch klar, wieso die Protonenmobilität im Eis nicht verschwindend klein wird, sondern noch etwa halb so groß wie in flüssigem Wasser bei Raumtemperatur ist. Denn auch im Eis sind zwar die Atomkerne in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt, jedoch die viel leichteren Elektronen nicht. Dieser Mechanismus funktioniert natürlich nur, da Protonen selber Bestandteile von Wassermolekülen sind und sich problemlos in bestehende Wasserstoffbrückennetzwerke integrieren lassen. Für andere Ionen ist dies nicht der Fall, so dass deren Mobilität deutlich geringer ist.


Abbildung 2: Detaillierte Darstellung des Protonentransports in Wasser. Ausgangs- und Endpunkt ist das so genannte Eigen-Kation H3O+·(H2O)3 (links und rechts, gelber Bereich), welches unwesentlich stabiler ist, als das Zundel-Kation H+·(H2O)2 (mitte, grüner Bereich). Ausgelöst wird der Protonentransport (von links nach rechts) durch den Bruch einer Wasserstoffbrückenbindung (grün) in der näheren Umgebung eines Eigen-Kations und Reorientierung der benachbarten Wassermoleküle

Um dieses Verhalten auch quantitativ beschreiben zu können, muss man auch die benachbarten Wassermoleküle in Betracht ziehen, welche sich in Schichten um das geladene Oxonium-Ion anlagern. Dabei spielen zwei wichtige Strukturen, das Eigen-Kation und das Zundel-Kation, zentrale Rollen (siehe Abb. 2). Bei längeren O-O Abständen bildet sich bervorzugt das Eigen-Kation, ein Oxonium-Ion mit drei Wassermolekülen in seiner nächsten Umgebung, während bei kürzeren
O-O Abständen das Zundel-Kation, ein symmetrischer H2O···H+···OH2 Komplex, in dem sich zwei Wassermoleküle das zentrale Proton gleichermaßen teilen, stabiler ist. Man beachte, dass es sich hierbei um idealisierte Strukturen handelt; die thermische Bewegung sorgt dafür, dass das System ständig zwischen diesen Grenzstrukturen fluktuiert. Auf die Bedeutung des H2O···H+···OH2 Komplexes für die Protonenmobilität, wurde bereits in den 1930er Jahren durch M.L. Huggins aufmerksam gemacht. Eine detailierte Entschlüsselung des Grotthuss-Mechanismus auf atomarer Ebene wurde jedoch erst Mitte der Neunziger Jahre durch die rasante Entwicklung leistungstarker Rechner und den dazugehörigen Modellierungsprogrammen ermöglicht, mit denen man erstmals ganze Wassernetzwerke im Rahmen der Quantenmechanik simulieren konnte.

Das Zundel-Kation taucht als wichtiges Motiv erneut auf, wenn man von den ausgedehnten Wasserstoffbrückennetzwerken des Wassers zu kleinen Wasserclustern oder Wasserdrähten übergeht, wie sie in biologischen Systemen im Zusammenhang mit Protonenpumpen vorkommen können. Solche Protonenpumpen spielen zum Beispiel bei Redoxreaktionen in Zellmembranen eine Rolle. Protonen „wandern“ hier entlang von Kanälen, die durch Ketten von Wassermolekülen und Proteinseitenketten gebildet werden. Ein intensiv studiertes Beispiel ist das Bakteriorhodopsin, in welchem der Protonentransport durch Absorption von Licht getrieben wird (siehe Abbildung 3).


Abbildung 3: Das Zundel-Kation H2O···H+···OH2 (im Zentrum der Abb. - O: rot, H: grau) taucht als strukturelles Motiv zum Beispiel in der Protonentransferkette des Bacteriorhodopsins auf (aus: D. Marx, Physik Journal 3, 33/2004)

Für die Identifikation und Charakterisierung solcher Protonentransferketten ist offensichtlich ein detailliertes Verständnis der Eigenschaften protonierter Wassercluster erforderlich, wobei das protonierte Wasserdimer (Zundel-Kation) den einfachsten Grenzfall darstellt. Diesem Forschungsfeld widmen sich seit kurzem die Arbeitsgruppen von Oliver Kühn, Knut Asmis und Ludger Wöste vom Institut für Chemie beziehungsweise Experimentalphysik im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkollegs „Wasserstoffbrücken und Wasserstofftransfer“.

Eine bewährte Methode zur Untersuchung der Eigenschaften von Wasserstoffbrücken ist die Infrarotschwingungsspektroskopie. Hierbei wird durch Absorption elektromagnetischer Strahlung einer bestimmten Frequenz eine Schwingung des Moleküls angeregt (siehe Abbildung 4). Quantenmechanisch können nur Lichtquanten absorbiert werden, deren Energie hvIR der Energie eines Schwingungsüberganges hvSchw entspricht. Dies kann man mit Hilfe eines Potentialenergiediagramms, wie es im rechten Teil der Abbildung 4 gezeigt ist, veranschaulichen. In der Abbildung haben wir den möglichen Übergang entsprechend der O-H Schwingungsfrequenz eingezeichnet.


Abbildung 4: Schematische Darstellung einer Infrarotlaseranregung einer O(rot)-H(grau) Streckschwingung (links). Im rechten Bild ist das harmonische Potential für die Schwingungsbewegung dargestellt, wobei man sich die Situation so vorstellen kann, dass zwei Kugeln stark unterschiedlicher Masse über eine Feder verbunden sind. Die Energie der möglichen Schwingungsübergänge hvSchw hängt unmittelbar mit der Federkonstanten zusammen

Das Bild harmonischer Schwingungen kann erfolgreich auf eine große Anzahl von Molekülen angewandt werden und man ist mit Hilfe von quantenchemischen Berechnungen oftmals in der Lage, Infrarotspektren quantitativ zu erklären. Die Situation für geladene Wassercluster, wie das protonierte Wasserdimer, ist allerdings komplizierter, da die Schwingungen der Wasserstoffbrücke gekoppelt sind, und das anschauliche Bild der harmonischen Schwingung (Abbildung 4) hier seine Gültigkeit verliert. Einen Hinweis darauf findet man bereits in einer Arbeit von M. L. Huggins aus dem Jahre 1936, aber erst die Methodenentwicklung in der Quantenchemie, gepaart mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger Computer, erlauben eine quantitative Analyse derartiger Systeme. Die Eigenschaften des Potentials für die Bewegung des Protons in der Wasserstoffbrücke, O···H+···O, hängen stark vom Abstand der Sauerstoffatome ab (siehe Abbildung 5). Links ist der Fall eines kleinen Sauerstoffabstands, wie im Zundel-Kation (siehe Abbildung 2) gezeigt. Hier „sieht“ das Proton im wesentlichen ein Potential, in dem die quantenmechanische Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Zentrum der Wasserstoffbrücke maximal ist. Vergrößert sich der Abstand zwischen den Sauerstoffatomen, wie im Eigen-Kation (siehe Abbildung 2), wird ein Potential mit zwei Minima realisiert (siehe Abbildung 5, rechts) und das Proton kann sich entweder in der Nähe des einen oder des anderen Sauerstoffatoms aufhalten. Diese Flexibilität des Potentials und insbesondere seine Beeinflussung durch die Variation des Abstands der Sauerstoffatome ist letztendlich für den oben genannten Grotthuss-Mechanismus des Protonentransfers verantwortlich.


Abbildung 5: Potentialenergiekurven für die Bewegung des Protons (grau) zwischen den Sauerstoffatomen(rot) im Fall kleiner (links) und großer (rechts) fixierter O-O Abstände. Thermische Fluktuationen des O-O Abstands können eine Bewegung des Protons entlang der Wasserstoffbrücke ermöglichen und somit zur Mobilität der Protonen im Wassernetzwerk beitragen. Im isolierten Zundel-Kation ist die Situation des linken Bildes vorherrschend, man spricht von einer starken Wasserstoffbrücke

Für das Infrarotspektrum des Zundel-Kations ergibt sich aus diesem Bild, dass eine Schwingungsanregung des O-O Abstands notwendig zu einer periodischen Modulation des Potentials für die Protonenbewegung führt und sich somit, wie in Abb. 5 angedeutet, die möglichen Übergangsenergien zeitlich verändern. Man spricht davon, dass die O-O Schwingung und die Schwingungsbewegung des Protons gekoppelt sind. Der daraus resultierende Effekt auf das Infrarotspektrum wird schon seit den 1930er Jahren als allgemeine charakteristische Eigenschaft von Wasserstoffbrücken diskutiert, entzog sich aber bis vor kurzem dem direkten, experimentellen Nachweis. Die Messung des Infrarotschwingungsspektrums von in Wasser gelösten Protonen ist experimentell leicht zugänglich. Die Aussagekraft dieses Spektrums wird jedoch durch die, schon oben erwähnten, dynamischen Eigenschaften des Wassernetzwerkes stark beeinträchtigt, da die Überlagerung der sich ständig ineinander umwandelnden Strukturen zu einem weitgehend unstrukturierten Infrarotspektrum im Bereich der starken Wasserstoffbrückenbindungen führt. Im Gegensatz dazu, bietet die Spektroskopie an molekularen Systemen unter isolierten Bedingungen in der Gasphase den entscheidenden Vorteil, dass maßgeschneiderte Struktureinheiten synthetisiert, nach Ihrer Größe bzw. Masse selektiert und dann unter genau definierten Bedingungen untersucht werden können (siehe Abbildung 6). Die niedrigen Teilchendichten bei diesen Experimenten bedingen den Einsatz intensiver Lichtquellen. Laser, die entsprechende Strahlungsintensitäten erzeugen können, sind jedoch in der Regel nur in beschränkten Frequenzbereichen einsetzbar, so dass bis vor kurzem keine geeigneten, in der Frequenz durchstimmbaren Infrarotlichtquellen zur direkten Charakterisierung von starken Wasserstoffbrückenbindungen zur Verfügung standen. Erst die Entwicklung des Freier-Elektronen-Lasers im Infratrotbereich und insbesondere deren Anwendung auf das Gebiet der Molekülphysik durch die Arbeitsgruppe um Gerard Meijer und Gert von Helden (Fritz-Haber-Institut der Max-Planck Gesellschaft, Berlin), ermöglichten der Arbeitsgruppe um Knut Asmis und Ludger Wöste im Rahmen einer internationalen Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Daniel Neumark (University of California, Berkeley, USA), erstmalig ein Gasphasen-Infrarotspektrum des Zundel-Kations im Bereich der starken Wasserstoffbrücken zu messen. Dazu wurde das an der Freien Universität Berlin in zweijähriger Arbeit aufgebaute Vakuumspektrometer (Abbildung 6) in die Niederlande an das FOM Institut für Plasmaphysik Rijnhuizen transportiert, um dort am Freien-Elektronen-Laser-für-Infrarot-Experimente FELIX (Abbildung 7) die angestrebten Messungen durchzuführen.


Abbildung 6: Schematische Darstellung des Spektrometers, mit dem die Messungen an den Wasserclustern durchgeführt wurden. Auf Grund der extrem niedrigen Teilchendichten kann die Absorption der Infrarotstrahlung durch die Wassercluster nicht direkt (durch Messung der Abschwächung der Intensität des Laserstrahls) gemessen werden, sondern muss indirekt mittels der so genannten Photodissoziationspektroskopie nachgewiesen werden. Wassercluster einer bestimmten Größe und Masse (in diesem Fall H2O···H+···OH2) werden dazu in einer Ionenfalle eingefangen, auf -250 Grad Celsius abgekühlt und mit intensiver Laserstrahlung beschossen. Nur bei den für ein Teilchen ganz charakteristischen Frequenzen hvSchw (siehe auch Abbildung 4) kommt es zur Absorption von Photonen, die schlussendlich zur Fragmentation des Wasserclusters führt. Das Infrarotspektrum wird dann durch Messung der Anzahl der erzeugten Fragmente als Funktion der eingestrahlten Frequenz des Laserlichtes gemessen. Details zum Experiment können unter http:/www.physik.fu-berlin.de/~asmis nachgelesen werden

Das gemessene Infrarotschwingungsspektrum des Zundelkations ist in Abbildung 8 dargestellt. Seine Interpretation ist bis heute nur teilweise aufgeklärt, da insbesondere die theoretische Modellierung weit komplexer ist als ursprünglich erwartet. Die bis vor kurzem hochwertigsten quantenmechanischen Berechnungen, von Oliver Kühn in Zusammenarbeit mit Mikhail Vener (Karpov Institut Moskau) und Joachim Sauer (Humboldt-Universität zu Berlin) durchgeführt, zeigten eindeutig, dass drei der vier beobachteten Banden den Schwingungen der O···H+···O Einheit, also der gekoppelten Bewegung des zentralen Protons zuzuordnen sind. Die endgültige Zuordnung bleib jedoch bis heute offen, da die theoretische Modellierung nur unter starken Näherungen durchgeführt werden kann. Im Prinzip müssten alle fünfzehn Schwingungsfreiheitsgrade des H2O···H+···OH2 explizit berücksichtigt werden. Dies wäre völlig unproblematisch, wenn die Bewegung der beteiligten Atome nicht den Gesetzen der Quantenmechanik unterliegen würde. Letzteres hat zur Folge, dass der numerische Aufwand einer hochgenauen Simulation der Infrarotspektren extreme Anforderungen an die verfügbare Hard- und Software stellt. Die vollständige Interpretation des Schwingungspektrums lässt somit noch auf sich warten, scheint mittlerweile aber nur eine Frage der Zeit zu sein. Gelänge dies, würde man anhand der theoretischen Daten eine äußerst genaue topographische Landkarte, im Fachjargon Potentialenergiehyperfläche genannt (vergleiche Abbildung 5), erhalten. Damit hätte man den Schlüssel zur Beschreibung der dynamischen Prozesse nicht nur im ZundelKation, sondern auch einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zum besseren Verständnis vieler Eigenschaften, die sowohl auf lokalisierte wie auch ausgedehnte Wassermolekülnetzwerke zurückzuführen sind.


Abbildung 7: Funktionsweise des Freien Elektronenlasers FELIX. Auf relativistische Energien beschleunigte Elektronen (grüner Pfeil) werden in einem alternierenden Magnetfeld (Undulator) auf Grund der Lorenzkraft zu Oszillationen gezwungen, die der Ursprung der erzeugten Strahlung sind. Die Verstärkung wird durch zwei hochreflektierende Spiegel erreicht, welche den Großteil der Strahlung (roter Pfeil) im Bereich des Undulators halten. Die folgenden Elektronen wechselwirken sowohl mit dem Magnetfeld, als auch mit dem Strahlungsfeld, was zur Erzeugung hoch kohärenter Strahlung führt. Ein geringer Teil der Laserstrahlung wird durch ein kleines Loch im zweiten Spiegel ausgekoppelt (roter Strahl) und zum Experiment geführt. Die mittlere Frequenz der Strahlung wird beim FELIX (rechts) mechanisch durch Veränderung der Magnetfeldstärke (Abstand der Magnete) eingestellt. Die Länge des gesamten Lasersystems beträgt etwa 22 Meter

Die Arbeitsgruppen von Oliver Kühn und Knut Asmis haben sich mittlerweile einem neuen, aber direkt verwandten Problem zugewandt und wollen nun die Schwingungsspektroskopie der analogen, negativ geladenen Verbindung, dem deprotonierten Wasserdimer OH¯·H2O, aufklären. Die Bedeutung dieses Komplexes hängt wiederum eng mit der Mobilität von Hydroxyl-Ionen (OH¯) in Wassernetzwerken zusammen. Auch hier ist die Voraussetzung ähnlich: Sowohl experimentell wie auch theoretisch sind die Aufgaben äußert anspruchvoll und gehen an die Grenze des derzeit Möglichen. Trotzdem erhoffen sich die Forscher durch das enge Zusammenspiel von Theorie und Experiment eine detaillierte Charakterisierung der Potentialenergiehyperflächen und der darauf stattfindenden molekularen Quantendynamik in diesem Modellsystem. Auf lange Sicht gilt es, die für diese prototypischen Systeme gewonnenen Erkenntnisse zum Beispiel auf komplexe biologische Systeme (siehe Abbildung 3) anzuwenden und damit zum Verständnis des Zusammenspiels von strukturellen und funktionellen Aspekten beizutragen.


Abbildung 8: Infrarotspektren des Zundel-Kations (links). Das experimentelle Spektrum ist im unteren Teil aufgetragen. Der Vergleich mit den aktuellsten Rechnungen von Dai et al.(oben dargestellt) legt nahe, dass die Banden A, B und C den Schwingungen, die hauptsächlich der gekoppelten Bewegung des zentralen Protons (siehe rechts) entsprechen, zuzuordnen sind. Die Bande D rührt dagegen von den Biegeschwingungen der endständigen Wassermoleküle her. Aber auch diese neuesten Rechnungen liefern nur Aufschluss über die energetische Position der Schwingungsübergänge. Intensität und Bandenprofil können auf diesem theoretischen Niveau derzeit noch nicht befriedigend vorausgesagt werden

Literatur

N. Agmon: „The Grotthuss Mechanism“ Chemical Physics Letters 244 456 (1995).

K.R. Asmis, N.L. Pivonka, G. Santambrogio, M. Brümmer, C. Kaposta, D.M. Neumark and L. Wöste: „The Gasphase Infrared Spectrum of the Protonated Water Dimer“ Science 299 1375 (2003).

J. Dai, Z. Bacic, X. Huang, S. Carter, J.M. Bowman: Das Wasser in der Völkerrechtsordnung, in: G. Reichelt (Hrsg.), Wasser in Recht, Politik und Kultur, Band 12 der Schriftenreihe des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Europarecht, Wien 2004.

S. Neubert/W. Scheumann: „Atheoretical Study of Vibrational Mode Coupling in H5O2+“, Journal of Chemical Physics 119 6571 (2003).

M. Eigen: „Proton Transfer, Acid-Base Catalysis and Enzymatic Hydrolysis“ Angewandte Chemie International Edition in English 3 1 (1964).

M. L. Huggins: „Hydrogen Bridges in Ice and Liquid Water“ Journal of Physical Chemistry 40 723 (1936).

R. Rousseau, V. Kleinschmidt, U. W. Schmitt, D. Marx: “Modeling protonated water networks in bacteriorhodopsin“ Physical Chemistry Chemical Physics 6 1848 (2004).

V.Z. Spassov, H. Luecke, D. Bashford, K. Gerwert: „pK(a) Calculations Suggest Storage of an Excess Proton in a Hydrogen-Bonded Water Network in Bacteriorhodopsin“ Journal of Molecular Biology 312 203 (2001).

M.E. Tuckerman, K. Laasonen, M. Sprik, and M. Parrinello: „Ab Initio Molecular Dynamics Simulation of the Solvation and Transport of Hydronium and Hydroxyl Ions in Water“ Journal of Chemical Physics 103 150 (1995).

M. V. Vener, O. Kühn, J. Sauer: „The Infrared Spectrum of the O-H-O Fragment of H5O2+“ Journal of Chemical Physics 114 240 (2001).


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