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Internationale Sicherheit und Ordnung

Vereinte Nationen und Völkerrecht vor grossen Herausforderungen


von Philip Kunig

Sicherheit und Ordnung haben als zentrale polizeiliche Rechtsbegriffe eine lange rechtsstaatliche Tradition und bezeichnen diejenigen Schutzgüter, von denen seitens der Polizei Gefahren abzuwenden sind. Juristen verstehen unter Sicherheit die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen sowie den Bestand und das Funktionieren des Staates, seiner Einrichtungen und seiner Rechtsordnung insgesamt. Die öffentliche Ordnung meint demgegenüber alle Regeln, deren Befolgung nach den herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unentbehrlich für ein gedeihliches Miteinander angesehen wird, außerrechtliche Regeln also. Schon die Sprache zeigt, dass es sich um eine ältere Formulierung handelt, die den Urteilen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts entstammt, bis heute aber gebräuchlich ist.

Sicherheit ist ein bedeutsames Gemeinschaftsgut. Sie zu gewährleisten, versuchen zahlreiche Rechtsvorschriften auf verschiedenen Gebieten, denkt man an den Schutz von Personen und Sachgütern, an Verkehrswege, insbesondere die Luftfahrt, an Datenkommunikation, an Investitionen, aber auch generell an Rechtssicherheit, das heißt Verlässlichkeit und Durchsetzbarkeit des Rechts. Dafür sind weltweit neue Gefährdungslagen eingetreten, unmittelbar durch technologische Entwicklungen, durch die zunehmende Präsenz gewaltfähiger nichtstaatlicher Akteure, durch mit ihnen paktierende beziehungsweise ihnen gegenüber hilflose Staaten, die teils auch nicht willens oder in der Lage sind, Rechtssicherheit zu gewährleisten. Angesichts von Bevölkerungsexplosionen und Ressourcenverschwendung sowie höchst unterschiedlicher Kapitalallokationen können diese Gefährdungen noch zunehmen. Es sind Gefährdungen, aus denen für jeden Einzelnen Schaden erwachsen kann, speziell aber auch für wirtschaftliche Unternehmen. Die Gefahren erreichen teils unmittelbar das Inland. Ökonomie und Tourismus bewirken überdies eine früher ungekannte Präsenz im Ausland.

Die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im Inneren ist eine klassische staatliche Aufgabe, an deren Erfüllung viele Institutionen mitwirken. Subsidiär, aber dennoch im Kern, liegt sie bei der Polizei. Ursprünglich war dieser Begriff nicht gleichbedeutend mit einer Behörde, sondern mit einem Zustand guter Ordnung des Gemeinwesens, wie es in Gesetzen deutscher Länder aus dem 16. Jahrhundert nachzulesen ist. Der Polizeibegriff war der Inbegriff der dem Fürsten zustehenden absoluten und allumfassenden Staatsgewalt und wurde erst allmählich zu dem heutigen Verständnis im Sinne der Gefahrenabwehr verengt. Die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr steht heute auch nicht mehr allein in den Koordinaten des zugreifenden Staates einerseits und des in seine Schranken gewiesenen Störers andererseits, sondern in einem Dreiecksverhältnis. Denn der gefährdete Dritte hat einen Anspruch darauf, dass die Polizei gegebenenfalls zu seinen Gunsten einschreitet. Das war und ist nicht selbstverständlich, sondern musste durch höchstrichterliche Rechtsprechung, durch das Bundesverwaltungsgericht, erkämpft werden. Heute sieht man es auch als verfassungsrechtlich geboten an.

Dies alles bezieht sich auf den Staat. Er ist per Verfassung der Garant der Sicherheit, was aber nichts daran ändert, dass der Wandel vom Leistungsstaat zum Regulierungsstaat auch die Sicherheitsgewährleistung nicht unberührt gelassen hat, wie etwa die Luftfahrtverwaltung zeigt. An der staatlichen Gesamtverantwortung ändert dies jedoch nichts.


Recht nüchtern betrachtete damals König Friedrich der Große, im Volksmund der Alte Fritz, seine Aufgabe: „In Staatsgeschäften darf man weder Vorurteile noch Leidenschaft haben, erlaubt ist nur die fürs Gemeinwohl“
Foto: Wannenmacher

Das Völkerrecht entspricht exakt diesem Bild. Die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung ist ihm eine innere Angelegenheit jedes einzelnen Staates. Überall gibt es Polizei, aber nicht überall funktioniert sie in vergleichbarer Weise. Dafür interessiert sich das Völkerrecht im Ausgangspunkt nicht, es bemüht sich um die Vermeidung oder gegebenenfalls Kanalisierung zwischenstaatlicher Konflikte. Für die Völkerrechtsgemeinschaft sind alle ihre Mitglieder gleich, sie sind souverän und bewegen sich rechtlich auf gleicher Augenhöhe. Die Völkerrechtsgemeinschaft ist ihrer Struktur nach eine Art Genossenschaft. Es wird kooperiert, aber nicht subordiniert – wie es sich aber innerstaatlich gerade bei der Wahrnehmung der Gefahrenabwehraufgabe als unverzichtbar erwiesen hat.


Die Polizei – zuständig für Sicherheit und Ordnung im Innern des Staates
Foto: photocase

Mit diesem Rechtszustand konnte man früher recht gut leben. Das Völkerrecht bildete Regeln heraus, von denen fremde Staatsangehörige einschließlich der Unternehmen bei Auslandskontakt oder Auslandspräsenz profitierten, nämlich über den Schutz der Person, über Eigentums- oder Investitionsschutz. Das so genannte völkerrechtliche Fremdenrecht, eine Vorform des heutigen Menschenrechtsschutzes, ist entstanden, als Unternehmen sich in fremden Staaten zu engagieren begannen und die reichen Investorenstaaten nicht mehr durchzusetzen vermochten, was ihnen zuvor eine Zeit lang gelungen war, nämlich die eigene Rechtsordnung auf das fremde Territorium mitzubringen. Vor den neuartigen Risiken schützen solche Regeln keineswegs in befriedigendem Ausmaß.

Aus der beschriebenen Grundstruktur des Völkerrechts resultieren unmittelbar seine Schwächen. Niemand konnte bisher an die Stelle eines Staates treten, der seine Sicherheitsgewährleistungsaufgabe nicht erfüllte. Es gibt keine Auffangzuständigkeit. Die Sicherheit wird nicht gewährleistet, wenn einer der Genossen den Konsens aufkündigt, der für das Funktionieren der Genossenschaft unabdingbar ist. Manche Genossen wollen oder können nicht leisten, was ihnen in diesem System als Aufgabe zufällt. In zahlreichen Ländern sind bestimmte Elemente klassischer Staatlichkeit defizitär: Ist etwa die Sicherheitskontrolle auf einen Teil des Territoriums begrenzt, bestehen Defizite bei der Durchsetzung von Eigentumsrechten oder der Gewährleistung von gerichtlichem Schutz.

In der internationalen Diskussion wurde es seit einigen Jahren üblich, von so genannten failing states zu sprechen, Staaten, die weder über ein funktionierendes Gewaltmonopol noch über die Fähigkeit zur Rechtsdurchsetzung verfügen. Viele Staaten „schwächeln“ deutlich, möglicherweise über die Hälfte der Staaten Lateinamerikas, Afrikas und Asiens. Die politikwissenschaftliche Literatur stellt dafür Kriterien auf: Unkonstitutioneller Regimewechsel, Verlust der zentralen Regierungsgewalt, nachhaltige interne Gewalt, autokratische Herrschaftssysteme, niedriges Bruttoinlandsprodukt bei hoher Verschuldung, Transfer aus Entwicklungshilfe bei mindestens 15 Prozent des Inlandsprodukts und andere. Viele schwache Genossen also und dazu noch die Bedrohung durch Nicht-Genossen, derer die Genossen nicht Herr werden können.

Die Gründung der Vereinten Nationen in der Hoffnung, die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg des vergangenen Jahrhunderts zu befrieden, hat die herkömmlichen Bahnen des Völkerrechts zunächst nicht verlassen. Der Form nach sind die Vereinten Nationen eine klassische internationale Organisation – ein eigenes Völkerrechtssubjekt, ausgestattet mit eigenen Rechten, aber ohne dass ihr Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten übertragen worden wären. Anders verhielt es sich später im Europa der Wirtschaftsgemeinschaft, die sich zu einer Union ausgewachsen hat, die selbst Recht setzen und damit die Anwendung mitgliedschaftlichen Rechts versperren kann. Das alles können die Vereinten Nationen nicht. Sie verharrten aus bekannten Gründen in ihren ersten Jahrzehnten als ziemlich wirkungslose Veranstaltung, sieht man davon ab, dass sie erstmals in der Geschichte ein weltumspannendes Forum für die Diskussion globaler Fragen bieten konnten.


Im Sitzungssaal der Vereinten Nationen wird internationale Sicherheit verwaltet
Foto: Wittke

Was die internationale Sicherheit anlangt, enthält die wohl wichtigste Vorschrift der Satzung der Vereinten Nationen, die Nummer 4 der in Artikel 2 niedergelegten Grundsätze, ein Verbot der Androhung oder Anwendung von Gewalt. Gemeint ist damit zwischenstaatliche militärische Gewalt. Dieser Verbotsnorm ist wie bei einer innerstaatlichen Norm des Strafrechts ein Rechtfertigungsgrund beigestellt. Die Satzung spricht in Artikel 51 vom naturgegebenen Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs. Allerdings wird dieses Recht nur so lange eingeräumt, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.


Der Staat, und damit auch das Bundesministerium des Innern, ist politisch für die innere Sicherheit verantwortlich
Foto: Wannenmacher

Dem Sicherheitsrat sind in Kapitel 7 der Satzung verschiedene Befugnisse zugeschrieben. Er kann feststellen, ob eine Bedrohung, ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegen und er kann unter Umständen militärische Sanktionen ergreifen – nach dem Modell der Satzung durch eigene, ihm von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Streitkräfte. Letzteres hat sich jedoch niemals realisiert. Man geht indessen davon aus, dass der Rat von einzelnen Mitgliedstaaten durchgeführte militärische Maßnahmen legitimieren beziehungsweise auch dazu aufrufen kann, ohne dass diese sich selbst dazu in der Lage der Selbstverteidigung befinden müssen.

Bis in die 90er Jahre hinein blieb der Sicherheitsrat zumeist kraftlos. Erst danach kann eine extensive Auslegung der Befugnisse beobachtet werden. Dem Buchstaben nach kann der Sicherheitsrat nur einschreiten, wenn der Frieden auf dem Spiel steht beziehungsweise ein Angriff droht. Beides war nach der Intention derer, die es formuliert haben, allein auf zwischenstaatliche Streitigkeiten, auf grenzüberschreitende Militäraktionen von Staaten gemünzt. Dabei ist man nicht stehen geblieben. Bürgerkriege wurden einbezogen, wenn von ihnen nachhaltige Flüchtlingsströme ausgehen und erst diese einem Konflikt die internationale Dimension verleihen. Die für die Zuständigkeit des Sicherheitsrats maßgeblichen Befugnisnormen werden dabei eher politisch ausgelegt denn als Rechtsbegriffe gehandhabt, anders also im Vergleich zum innerstaatlichen Polizeirecht. Die Normen ermöglichen auch die Rechtfertigung von Eingriffen, die etwa zur Unterbindung schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen verhängt werden, sofern diesbezüglich politischer Konsens herrscht und namentlich keines der ständigen Mitglieder sein Veto dazu einlegt. Damit ist ein kritischer Punkt angesprochen, denn die Praxis des Sicherheitsrats ist selektiv. Von ihm können Beiträge zur Herstellung internationaler Sicherheit nur erwartet werden, wenn ein Konflikt fühlbares internationales Potenzial aufweist und darüber hinaus die strategischen oder wirtschaftlichen Interessen der den Sicherheitsrat dominierenden Staaten zu beeinträchtigen droht. Niemand kann den Rat aus Rechtsgründen zum Handeln bringen, wie es bei der innerstaatlichen Polizei möglich ist, und niemand kann ihn kontrollieren, insbesondere auch nicht der Internationale Gerichtshof. Im Gegensatz dazu kann das Verhalten der innerstaatlichen Polizei von jedem, den es angeht, auf den Prüfstand der gerichtlichen Kontrolle gestellt werden, dies nicht zuletzt mit Haftungsfolgen.


Internationale Truppen sollen in Kabul für Stabilität und Sicherheit sorgen
Foto: NATO

Hinzu kommt, dass das völkerrechtliche Gewaltverbot, der Ausnahmecharakter des erwähnten Rechts auf Selbstverteidigung und das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen bekanntlich nicht von allen Staaten respektiert werden. Der Beitrag der Vereinten Nationen zur Gewährung internationaler Sicherheit ist durch eine vielfach mangelnde Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrats geschwächt. Das allen Staaten zukommende Selbstverteidigungsrecht steht folglich im Zentrum der völkerrechtlichen Beurteilung von Gewaltakten. Es wird daher im Sinne der Ermöglichung einer Abwehr auch von Gewaltakten ausgedehnt, die, wie seinerzeit Afghanistan betreffend, von nichtstaatlichen Terroristengruppen ausgehen.

Das kann man in Einzelfällen begrüßen und juristisch begründen. Das ändert aber nichts daran, dass die Weltordnung so gesehen vom Recht der Stärkeren beherrscht bleibt, die sich zudem von der Rechtsordnung nicht gehindert sehen, auch ohne klare Tatsachenlage, also missbräuchlich, einen Fall der Selbstverteidigung zu behaupten, und die rechtlich schwer greifbaren Abgrenzungen zwischen Gegenschlägen und vorbeugenden Maßnahmen im Falle einer angeblichen Bedrohung weiter verwässern. So können die Vereinten Nationen gerade hinsichtlich solcher neuartiger Gefährdungslagen für die internationale Sicherheit, die sich aus der Existenz gewaltfähiger nichtstaatlicher Akteure und aus dem Phänomen der zahlreichen schwächelnden Staaten ergeben, punktuell, aber nicht verlässlich, Sicherheitsaufgaben übernehmen. Und einzelne Staaten können Sicherheit herstellende Aktionen ebenfalls durchführen, gegebenenfalls in einem Kreise der dazu Willigen, werden es aber selbstverständlich nur tun, wenn es ihrem jeweiligen Individualinteresse entspricht – und können damit zugleich wiederum Ursachen setzen für weitere Destabilisierung, worauf es im Irak hinausgelaufen ist.

Wie kann nun mit völkerrechtlichen Mitteln diese prekäre Lage verbessert werden? Es ist offensichtlich, dass die paradigmatische Ausrichtung allen Rechts auf den Staat nicht mehr ausreicht. Das wird schon innerstaatlich so empfunden, belegbar am Rückzug des Staates auf eine koordinierende, moderierende Rolle in vielen Bereichen, nicht zuletzt am Vordringen vertraglicher Gestaltung auf Feldern ehedem hoheitlich-einseitiger Entscheidungen. Es gilt anders noch und in besonderem Maße für die internationale Ebene. Auch die Staaten sind dereinst erst nach Zurücklegung komplizierter Wege fähig geworden, die Konkurrenz einzelner Gruppen um materielle und immaterielle Güter durch die Errichtung einer stabilen Ordnung befriedigend zu kanalisieren, als befriedigend hier bezeichnet aus dem Blickwinkel namentlich in Europa und teilweise auch in Amerika gemachter Erfahrungen. Diese innerstaatlichen Erfahrungen, aus denen jedenfalls in Europa im Kern konsentierte Vorstellungen über gerechte Herrschaft erwachsen sind, wie sie sich in unseren Vorstellungen über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit umschreiben lassen, müssen auf das internationale System übertragen werden.

Auch hier müssen Strukturen gefunden werden, die durch eine weitergehende Verrechtlichung, als sie bisher besteht, eine verlässlichere Sicherheitsgewährleistung herbeiführen. Dazu gehört, dass derjenige, dessen Sicherheit gefährdet ist, auf die Herstellung von Sicherheit durch eine zuständige Instanz vertrauen kann. Zugleich muss sichergestellt sein, dass die damit oft verbundene Notwendigkeit der Anwendung von Gewalt eine hinreichende Legitimation erfährt. Das wird sogleich zurückführen zu den Vereinten Nationen.

Unabhängig aber von dieser Ebene: Es steht nicht nur die Alternative zwischen einer von den Vereinten Nationen dominierten Sicherheitsverfassung einerseits, einer hegemonial geprägten Sicherheitsverfassung andererseits im Raum. Internationale Sicherheit kann derzeit und absehbar nicht zentral oder unilateral, nicht „von außen“ organisiert werden, sondern bedarf der Mitwirkung, das heißt der Stärkung des innerstaatlichen Sektors überall dort, wo die oben genannten Kriterien zu der Diagnose unzulänglicher Staatlichkeit führen, also in etwa der Hälfte der Welt. Hier stellt sich die Frage, inwieweit das Völkerrecht zu einer Umgestaltung dortiger innerstaatlicher Ordnungen beitragen kann, und zwar einer realen Umgestaltung, nicht nur einer solchen durch Anpassung von Verfassungsurkunden, also auf dem Papier. Viele der betroffenen Staaten nehmen sich nämlich nach dem geduldigen Papier ihrer Verfassungsurkunden bereits als Rechtsstaaten aus, ohne solchen Ansprüchen auch nur nahe zu kommen. Solche völkerrechtlichen Vorgaben sind teilweise vorhanden, teilweise auf dem Weg. Die Menschenrechtsentwicklung ist davon gekennzeichnet, dass sie – über einen Elementarschutz für den Einzelnen hinaus – zunehmend Anforderungen an die Qualität demokratisch-rechtsstaatlicher Verhältnisse stellen will. Man sollte sich nicht scheuen, auch insoweit von der europäischen Tradition von Rechtsstaat und Demokratie auszugehen und sie in der Welt zur Diskussion zu stellen, nicht eifernd-missionarisch, aber im Vertrauen auf die Attraktivität dieses Modells und seiner Leistungsfähigkeit, nicht zuletzt für die Herstellung sozial erträglicher Lebensverhältnisse und angemessener Bedingungen für erfolgreiches und nachhaltiges Wirtschaften. Damit einhergehen muss die Unterstützung des Aufbaus von Sicherheit gewährleistenden Strukturen vor Ort, beispielhaft genannt sei der Aufbau einer rechtsstaatlichen Polizei in Afghanistan, dies unter deutscher Federführung.

Aber zurück von der inneren Ordnung der Staaten zum internationalen System: Hinsichtlich des, wie gesagt, in der Satzung der Vereinten Nationen angelegten Gewaltmonopols, das sich bislang nicht realisieren konnte und das heute grundsätzlich in Frage steht, ist zu fragen, inwieweit und durch welche Schritte es zu der Blüte geführt werden könnte, welche die Gründer der Vereinten Nationen erwarteten und die – wenn auch nur kurz – noch einmal erhofft wurde, als sich der Ost-West-Konflikt verflüchtigt hatte.

Hier ist an Umbildungen der Satzung zu denken, an Vertragsänderung, an Reform der Vereinten Nationen. Hierüber wird seit Jahrzehnten fruchtlos diskutiert. Derzeit und nach den Vorgängen der letzten drei Jahre wird das Thema politisch wie völkerrechtswissenschaftlich aber mit neuem Impetus aufgenommen. So könnten die Eingriffsgrundlagen für ein Einschreiten des Sicherheitsrates schärfer gefasst werden, durchaus dem innerstaatlichen Polizeirecht ähnlich. Sie könnten dadurch justiziabel werden, sie könnten unter gerichtliche Kontrolle gestellt werden. Zugleich ist das Verhältnis regionaler Einrichtungen zueinander neu zu bedenken, die gleichfalls Beiträge zur Sicherheitskultur leisten, und das System der Vereinten Nationen übersichtlicher und effektiver mit den schon vorhandenen regionalen Einrichtungen vernetzen. Dabei richtet sich der Blick über Militärbündnisse hinaus vor allem auch auf die Integrationsgebilde, wie sie sich auch außerhalb von Europa herauszubilden beginnen und dem europäischen Integrationswerk nachempfunden sind. Die befriedende und rechtsstaatliche Verhältnisse fördernde Wirkung regionaler Integrationsstrukturen, etwa in Lateinamerika, Afrika und potenziell auch Asien, ist wissenschaftlich erwiesen.

Abgesehen von schwierigen und sicher allenfalls mittelfristig erreichbaren Veränderungen im internationalen Normengefüge ist an eine strukturelle Besonderheit des Völkerrechts zu erinnern. Das Völkerrecht ist weithin ungeschrieben und lebt von der Praxis seiner Akteure. Das gilt auch für das Ausfüllen unbestimmter Begriffe in geschriebenen Verträgen. So wie die oben erwähnte, nach dem Ost-West-Konflikt möglich werdende Entscheidungspraxis des Sicherheitsrats in Ausweitung seiner Rechtsgrundlagen, so könnte die wünschenswerte Konkretisierung der Eingriffskriterien auch durch diesbezügliche Organpraxis herbeigeführt werden. Dass dies bei Beibehaltung des Vetorechts nur schwer denkbar erscheint, steht auf einem anderen Blatt.

Hier wird nicht mehr nur über ständige Mitglieder in Anknüpfung an eine historische Rolle bei der Beendigung des Zweiten Weltkriegs nachgedacht. In Zukunft kann es sich nach der Bevölkerungsgröße, der wirtschaftlichen Stärke, aber auch im Sinne der Sicherstellung einer hinreichenden Repräsentanz der Weltkulturen richten – deren Nivellierung übrigens drohen kann, wenn keine bessere Organisierung globaler Willensbildung bezüglich der weltweiten Grundfragen gelingt.


Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen, erhielt im Juli 2001 die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin
Foto: Wannenmacher

Einen wichtigen Denkanstoß hat insoweit das von dem Generalsekretär der Vereinten Nationen berufene High-Level Panel on Threats, Challenges and Change geliefert. Der Bericht dieser Gruppe von 16 in der internationalen Politik erfahrenen Persönlichkeiten wurde unter dem Titel „A more secure world“ im Dezember 2004 vorgelegt – ein eindrückliches Plädoyer für die Stärkung der Rolle des Rechts und des Sicherheitsrates im Bemühen um die Herstellung internationaler Sicherheit unter Zurückweisung, so wörtlich, auch eines „gut gemeinten“ Unilateralismus. Ein detaillierter Kriterienkatalog für Entscheidungen des Sicherheitsrates über den Einsatz von Gewalt wird vorgelegt, und soll – in Konkretisierung der Satzung – verbindlich beschlossen werden. Das Gremium selbst soll auf 24 Mitglieder vergrößert werden, unter gleichgewichtiger Berücksichtigung der vier großen Regionen (Afrika, Asien/Pazifik, Europa, Amerika) und mit vorrangiger Mitwirkung solcher Mitgliedstaaten, die in finanzieller, militärischer, diplomatischer Hinsicht in besonders starkem Maße die Vereinten Nationen tragen, insbesondere auch über Beiträge zu friedenserhaltenden, friedensschaffenden oder anderer Missionen und Aktivitäten der Organisation. Das anachronistische Veto-Recht der fünf ständigen Mitglieder wird allerdings noch nicht angetastet: „We see no practical way of changing the existing members’ veto powers“, formulierte die Expertengruppe.


Bis heute werden Formulierungen verwendet, die schon in den Urteilen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts gebräuchlich waren
Foto: Wannenmacher

An den Panelbericht anknüpfend, legte Kofi Annan dann am 21. März 2005 in der Generalversammlung seinen Bericht mit dem Titel In larger freedom: Towards development, security and human rights for all mit noch weiteren Reformvorschlägen vor, getragen vom Ehrgeiz, noch im laufenden Jahr die Weichen für eine grundlegende Effektuierung des Systems der Vereinten Nationen zu stellen. Ob das gelingt, lässt sich nicht absehen.

Eingangs wurde in diesem Beitrag der innerstaatliche Polizeirechtsbegriff „Sicherheit und Ordnung“ auf die internationalen und ausländischen Verhältnisse bezogen. Ganz im Vordergrund stand die Sicherheit. Sie ist gewissermaßen die Basis. Vergessen wir aber auch die „Ordnung“ nicht, die Anschauungen darüber, was unentbehrlich für ein gedeihliches Miteinander ist, so die Worte des Preußischen Oberverwaltungsgerichts. Auch um den Beibehalt, teils auch erst die Herbeiführung solcher gemeinsamer Vorstellungen müssen wir uns bemühen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 bietet dafür immer noch ein tragfähiges, ja ein zukunftsweisendes Fundament. Was sie beispielsweise mit einer „demokratischen Gesellschaft“ oder auch mit der Religionsfreiheit, die nur als ein Gebot zu religiöser Toleranz denkbar ist, normativ vorgibt – um einen Konsens über diese Fragen muss weiterhin gerungen werden, auch auf wissenschaftlicher Ebene.

Literatur

Ph. Kunig: Das Völkerrecht als Recht der Weltbevölkerung, in: Archiv des Völkerrechts, Bd. 41 (2003), 327 ff.

Ph. Kunig: Der Einfluss der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf die Verfassungen dekolonialisierter Staaten, in: K. Dicke (Hrsg.), Zur Wirkungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Verfassungsrecht und Politik, 2004, 27 ff.

Ph. Kunig: Macht und Recht in den internationalen Beziehungen und Schlussfolgerungen für den internationalen Diskurs über Völker- und Verfassungsrecht, in: Verfassung und Recht in Übersee, Bd. 38 (2005), H. 1.

j. Lehmann: Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, 2004.

Memorandum der Heinrich-Böll-Stiftung: Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, 2004.

C. Schaller: Das Friedenssicherungsrecht im Kampf gegen den Terrorismus, Stiftung Wissenschaft und Politik, 2004.

R. Uerpmann: Internationales Verfassungsrecht, Juristenzeitung 2001, 565 ff.

United Nations: A more secure world: Our shared responsability, Report of the High-level Panel on Threats, Challenges and Change, 2004.

United Nations: General Assembly, In larger freedom: Towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General, 2005.

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