elfenbeinturm.net
fundiert
ImpressumArchiv
Foto: Wannenmacher

"Never change a winning team!"

Arbeit in Projekten und Projektnetzwerken

Von Stephan Manning

Viele sehen in Berlin einen bedeutenden Wissenschafts- und Medienstandort. Und in der Tat: Universitäten, Forschungseinrichtungen, Werbeagenturen, Softwarefirmen und Filmproduzenten gehören zu den attraktivsten Arbeitgebern der Stadt. Gleichzeitig aber sind Beschäftigungsverhältnisse im Wissenschafts- und Medienbetrieb mit einer hohen Unsicherheit behaftet. In der Filmindustrie beispielsweise werden die meisten Arbeitskräfte nur für einzelne Filmprojekte engagiert. Zwischen diesen befristeten Jobs sind sie dagegen für kürzere oder längere Zeit „auf dem Markt“. Auch in der Wissenschaft sind die meisten Beschäftigungsverhältnisse zeitlich begrenzt, und für viele Forscher besteht eine permanente Herausforderung darin, eine Anschlussfinanzierung zu bekommen.

Gründe für dieses Problem führen Arbeits- und Organisationsforscher auf einen allgemeinen Trend zurück – die so genannte „Projektifizierung von Arbeit“. Demnach findet Arbeit zunehmend in Projekten statt, nicht nur im Dienstleistungssektor, sondern auch in der industriellen Produktion. Was aber ist das Besondere bei Projekten? Allgemein bezeichnen Projekte, im Gegensatz zu Routineaufgaben, zeitlich befristete Formen der Zusammenarbeit, um komplexe und innovative Produkte und Leistungen zu erstellen, wie zum Beispiel Filme, Veranstaltungen, Werbekonzepte oder Forschungsberichte.

Projekte sind flexible Organisationsformen, in denen Akteure mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Interessen für ein gemeinsames Ziel arbeitsteilig kooperieren. Jedes Projekt ist ein Stück weit einmalig – genau wie die Zusammenarbeit in Projekten. Gleichwohl gibt es Branchen, in denen fast nur in Projekten gearbeitet wird, wie in der Bau- und Filmbranche. Auch im Forschungsbetrieb spielen Projekte eine zunehmend wichtige Rolle.

Große Bauprojekte, wie der Potsdamer Platz, sind immer auch Teamarbeit
Foto: Photocase

Für Projektunternehmer, wie Filmproduzenten und Bauunternehmer, ist das Projektgeschäft eine permanente Herausforderung, da sie für wechselnde und häufig neue Projektaufgaben stets die passenden Partner finden müssen – im Baugeschäft zum Beispiel Architekten, Bauingenieure und Subunternehmer, im Filmgeschäft Autoren, Schauspieler und technische Dienstleister.

Zusammen bilden sie Projektteams, die im Baugeschäft von Generalunternehmern und im Filmbusiness von Produzenten gemanagt werden. Sie müssen die geforderten Leistungen, etwa den Bau eines Hauses oder die Herstellung eines Films, zu möglichst geringen Kosten und in einer bestimmten Zeit und Qualität erbringen. Tun sie Letzteres nicht, können sie damit rechnen, dass Klienten Zahlungen verweigern und dass es schwierig sein wird, Folgeaufträge zu bekommen.

Für Projektunternehmer gibt es eine weitere Herausforderung: Was geschieht mit den Beschäftigten an einem Projekt nach dessen Ende? Häufig gibt es kein direktes Anschlussprojekt, auch lässt sich nicht jeder Projektpartner problemlos in neue Projekte integrieren. Insbesondere dann nicht, wenn bestimmte projektspezifische Qualifikationen erforderlich sind. Eine Antwort darauf könnte sein, für jedes neue Projekt einfach die passenden Partner vom „Markt“ zu holen und nach jedem Projekt in den „Markt“ zu entlassen. Tatsächlich beschäftigen beispielsweise Filmproduzenten aus Kosten- und Flexibilitätsgründen nur sehr wenig Personal über einzelne Projekte hinaus. Allerdings kann es schwierig werden, jeweils die passenden Partner im „Markt“ zu finden, denn nicht jeder Partner ist immer verfügbar, gleich qualifiziert oder genießt im Team das gleiche Vertrauen.

Projektunternehmer stehen also vor einem Dilemma: Weder können (und wollen) sie es sich leisten, permanent Beschäftigte für mögliche Projekte anzustellen, noch können (und wollen) sie für jedes Projekt ständig nach neuen geeigneten Partnern suchen. Aus diesem Grund haben sich im Projektgeschäft so genannte Projektnetzwerke herausgebildet. Im Jargon der Organisationsforscher bezeichnen Netzwerke soziale Beziehungsgeflechte, die nicht ausschließlich nach den Gesetzen des Marktes oder den Gesetzen der Hierarchie funktionieren. Vielmehr werden sie durch gegenseitiges Vertrauen und Reziprozität, aber auch durch unterschiedlich verteilte Macht und Abhängigkeit der Beteiligten zusammengehalten. Projektnetzwerke sind besondere Netzwerke, die aus rechtlich selbstständigen Akteuren bestehen, die primär in Projekten zusammenarbeiten. Sie werden meist durch Projektunternehmer strategisch geführt, sind dynamisch, aber auch beständig in ihrer Struktur. In Projektnetzwerken bilden sich so genannte „Pools“ von ähnlich qualifizierten Partnern heraus, die Projektunternehmer aufbauen und unterhalten, um für anstehende Projekte Teams flexibel zusammenzustellen.

Wie Projektunternehmer ihre Projektnetzwerke für einzelne Projekte aktivieren und gleichzeitig durch einzelne Projekte reproduzieren, veranschaulicht die Grafik auf Seite 41. Der Witz besteht darin, dass Projektnetzwerke zwar über einzelne Projekte hinaus bestehen bleiben, aber nicht losgelöst von Projekten existieren. Das heißt, Akteure sind nur insofern Teil des Netzwerks, als sie für bestimmte Projekte in Frage kommen und auch tatsächlich – wiederkehrend – herangezogen werden. So sind zum Beispiel beim Film bestimmte Autoren auf Genres oder Formate spezialisiert und kommen daher nur bei bestimmten Projekten zum Zuge. Daher sind viele gut beraten, sich für verschiedene Genres und Formate zu qualifizieren. Durch erfolgreiche Projektteilnahme erneuern und verbessern sie die eigene Position im Pool, kommen also in der Folge wieder für neue Projekte in Frage.

Netzwerkbeziehungen sind im Projektgeschäft also das A und O. Für Beschäftigte in Projekten sind sie aber unterschiedlich wertvoll – je nachdem, welche Chancen sie haben, durch diese Beziehungen wiederholt an Aufträge zu kommen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sie eine Stammposition in einem bestimmten Projektnetzwerk innehaben. Häufig müssen Projektbeschäftigte aber wechselnd oder parallel für mehrere Projektunternehmer und damit auch in mehreren Projektnetzwerken arbeiten. Ein Drehbuchautor kann es sich beispielsweise nicht leisten, darauf zu warten, dass er von einer bestimmten Firma wieder engagiert wird, sondern muss flexibel von Projekt zu Projekt, von Firma zu Firma und von Netzwerk zu Netzwerk wechseln.

Netzwerke als Wegbereiter für Karrieren, auch in der Forschung
Foto: Außenhofer

Manche Arbeitsforscher beschreiben Karrieren im Projektgeschäft daher auch als „grenzenlos“, da sie nicht den herkömmlichen Hauskarrieren eines Industriebeschäftigten entsprechen. Der Begriff „grenzenlos“ ist jedoch irreführend, denn zum einen suggeriert er ein (Über-)Maß an Freiheit, das viele Projektbeschäftigte gern für ein Stück mehr Sicherheit aufgeben würden. Zum anderen verschweigt er, dass es soziale Strukturen gibt – wie etwa Projektnetzwerke –, in denen sich Karrieren (nur) auf eine bestimmte Art und Weise entwickeln können. Der „Entgrenzung“ von Arbeit und Karrieren im Projektgeschäft sind daher (neue) „Grenzen gesetzt“.

Internet

Weitere Informationen über Projektnetzwerke und Untersuchungen darüber finden Sie auf der Homepage des Lehrstuhls von Prof. Dr. Jörg Sydow am Institut für Management der Freien Universität Berlin:
http://www.wiwiss.fu-berlin.de/w3/w3sydow/

Diese Grenzen bestehen darin, dass in Projektnetzwerken Regeln herrschen, an die sich die Beteiligten halten müssen, um wiederholt Aufträge zu bekommen. Eine zentrale Regel lautet: „Never change a winning team!“. Das bedeutet: Wenn ein Team erfolgreich ist, versuchen Projektunternehmer und Klienten gemeinsam, ähnliche Projekte wieder mit demselben Team durchzuführen.

Ist beispielsweise ein Film erfolgreich beim Publikum, dann sind Fernsehsender gern bereit, mit dem Produzenten und Regisseur des Films wieder zusammenzuarbeiten. Diese Regel schafft ein Stück Sicherheit und ermöglicht gleichzeitig Karrieren im dynamischen Projektgeschäft. Auch lassen sich aus Sicht von Projektunternehmern auf diese Weise Folgeprojekte schneller und einfacher in die Wege leiten und meist auch effizienter umsetzen.

In der Praxis bezieht sich diese Regel jedoch selten auf das gesamte Team. Es dürfte schwer fallen, sämtliche Positionen in einem neuen Projekt wieder mit denselben Leuten zu besetzen – allein, weil viele in mehreren Projektnetzwerken aktiv sind. Die Regel trifft aber sehr wohl auf bestimmte „Gespanne“ in einem Projekt zu. So versuchen beispielsweise Regisseure, möglichst oft mit denselben Kameraleuten und Cuttern zusammenzuarbeiten. Denn gemeinsame Erfahrung und Vertrauen in die Zuverlässigkeit des jeweils anderen senkt Koordinationskosten und erhöht die Produktivität – und damit auch wieder das Vertrauen. Produzenten wissen das. Daher erlauben sie Regisseuren auch, „ihre“ Kameraleute mitzubringen. Und Kameraleute können sich so – an der Seite eines Regisseurs – von Projekt zu Projekt hangeln. Ein Grund dafür, warum Kameraleute ohne festen Regisseur es auf dem Arbeitsmarkt oft schwerer haben.

Stabile Konstellationen können sich auch zwischen Produzenten und Fernsehsendern sowie zwischen Produzenten, Regisseuren und Autoren herausbilden. Dort gibt es sogar Stammpositionen, und wer eine solche Position besetzt, genießt stets den Vorzug vor möglichen Konkurrenten. Wenn Projekte anstehen, die zum Profil eines Stammpartners, etwa eines Stammautors, passen, erhält dieser den ersten Anruf. Das kann jedoch Segen und Fluch zugleich sein: Ein Stammpartner kann sich zwar eines regelmäßigen Engagements recht sicher sein, bei einer Ablehnung eines Engagements steht jedoch schon der nächste potenzielle Stammpartner in den Startlöchern.

Auch in der medizinischen Forschung und Praxis ist Teamarbeit ein Muss
Foto: Außerhofer

Die Regel „Never change a winning team!“ hat noch eine weitere Kehrseite: Wie die Regel bereits andeutet, besteht nur für ein „winning team“ eine gewisse Auftragssicherheit. Bleibt der Erfolg jedoch aus, oder kommt es zum Streit, werden die Karten neu gemischt. So muss ein unzufriedener Kunde beruhigt werden, um das Vertrauensverhältnis nicht zu gefährden. Produzenten sind dann gezwungen zu „handeln“ und diejenigen zu ersetzen, die für die Unzufriedenheit „verantwortlich“ sind. Diese Vorgänge sind meist symbolischer Art, denn häufig kann (und will) niemand sagen, woran oder an wem es „wirklich“ gelegen hat. Bei genauerem Hinsehen kann man feststellen, dass selten eine Person schuld ist – vielmehr liegt das Problem in der Zusammen­arbeit. In der obigen Regel steckt also viel Weisheit, denn es geht um „winning teams“. Jedoch wird selten das gesamte „Team“ bestraft. Viel mehr muss, ähnlich wie im Fußball der Trainer, im Filmgeschäft der Produzent oder der Regisseur für die schlechte „Teamleistung“ den Kopf hinhalten.

Die Zusammensetzung des Teams kann sich aber auch ändern, weil ein Team zu erfolgreich ist. Erfolge im „Team“ werden häufig einzelnen Beteiligten zugeschrieben, die mehr als andere von diesem Erfolg profitieren. Jeder kennt das Ritual einer Filmpreisverleihung: Dort gibt es eine Auszeichnung für den besten Film, hinter dem das gesamte Team steht. Ebenso gibt es aber Preise für einzelne Beteiligte: Schauspieler, Regisseure oder Kameraleute. Solche Preise sind häufig einmalige Gelegenheiten für Karrieresprünge, die schnell (und unverhofft) kommen und gehen: „You’re only as good as your last job!“ heißt es im Filmbusiness. Kreative wissen das und überlegen sich gut, ob sie ein lukratives Angebot annehmen und damit das Team verlassen oder weiter (nur) mit denselben Partnern zusammenarbeiten. Die Regel „Never change a winning team!“ führt also nicht unbedingt dazu, dass erfolgreiche Teams bestehen bleiben. Dennoch ist die Regel bedeutsam: Sie gibt Beteiligten eine Orientierung für anstehende Entscheidungen.

Es könnte der Eindruck entstehen, dass dies nur im Filmbusiness so sei. Dem ist aber nicht so: Auch in der Forschung funktionieren Projektnetzwerke auf ganz ähnliche Weise. Die kurzzeitige Beschäftigung an einem Institut, die Zusammenarbeit mit bestimmten Wissenschaftlern oder das reputierliche Forschungsprojekt dienen für viele Forscher als Sprungbrett für die eigene Karriere – häufig auch ins Ausland. Mindestens ebenso wichtig für die Karriere ist aber auch der langjährige, vertrauensvolle, häufig projektbezogene Kontakt zu Kollegen, auf deren Unterstützung sie im Forschungsbetrieb angewiesen sind, um sich von Projekt zu Projekt zu finanzieren. Gerade bei der Besetzung neuer Stellen – nicht zuletzt auch Projektstellen – ­bilden sich Pools von Kandidaten, die in Frage kommen. Eine Mischung aus Kennen und Können entscheidet dann über die Einstellung.

Projektnetzwerke bieten daher gerade in einer Stadt wie Berlin wichtige Strukturen, die in unsicheren Zeiten sowohl Unternehmern als auch Arbeitskräften die Möglichkeit geben, über einzelne Projektaufträge hinaus zu denken – egal ob im Filmbusiness, Baugeschäft oder in der Forschung. Wer im Projektgeschäft überleben will, muss also wissen, wie Projektnetzwerke funktionieren und wie man sich darin bewegen kann. Wer Auftragssicherheit haben will, muss etwa Vertrauensbeziehungen aufbauen und sich in Teams längerfristig integrieren können. Flexibilität ist dabei nicht alles. Viel mehr geht es darum, Stabilität in Beziehungen zu generieren und gleichzeitig in diesen stabilen Beziehungen flexibel zu sein. Das gilt im Übrigen auch für das Privatleben, das Projektbeschäftigte ein Stück weit dem Rhythmus ihrer Aufträge anpassen müssen, was nicht zuletzt flexible Arbeitsteilungen der Geschlechter erfordert. Die Forschung steht nun vor der Herausforderung, nicht nur die Funktionsweise von Projektnetzwerken in verschiedenen Branchen näher zu ergründen, sondern auch ihre gesellschaftlichen Folgen zu verstehen und politische Gestaltungsempfehlungen abzuleiten.

Literatur

Henninger, Annette/Gottschall, Karin (2005):
Freelancer in den Kultur- und Medienberufen: freiberuflich, aber nicht frei schwebend. In: Mayer-Ahuja, Nicole/Wolf, Harald (Hrsg.): Entfesselte Arbeit - neue Bindungen: Grenzen der Entgrenzung in der Medien- und Kulturindustrie. Berlin: edition sigma, S. 153-183.

Manning, Stephan/Sydow, Jörg (2005): Arbeitskräftebindung in Projektnetzwerken der Fernsehfilmproduktion: Die Rolle von Vertrauen, Reputation und Interdependenz. In: Mayer-Ahuja, Nicole/Wolf, Harald (Hrsg.): Entfesselte Arbeit – „Neue Bindungen“. Grenzen der Entgrenzung in der Medien- und Kulturindustrie. Berlin: edition sigma, S. 185-219.

Mayer-Ahuja, Nicole/Wolf, Harald (Hrsg.) (2005): Entfesselte Arbeit – „Neue Bindungen“. Grenzen der Entgrenzung in der Medien- und Kulturindustrie. Berlin: edition sigma.

Sydow, Jörg/Windeler, Arnold (1999): Projektnetzwerke:
Management von (mehr als) temporären Systemen. In: Engelhard, Johann/Sinz, Elmar J. (Hrsg.): Kooperation im Wettbewerb. Wiesbaden: Gabler, S. 211-235.

Sydow, Jörg/Windeler, Arnold (Hrsg.) (2004): Organisation der Content-Produktion. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Seitenanfang
„Never change a winning team!“
Arbeit in Projekten und Projektnetzwerken

Sind wir faul?
Warum Deutsche weniger arbeiten als US-Amerikaner

Entrepreneurship für alle
Wie das Labor für Entrepreneurship arbeitet

Das Experiment
Universitäre Theorie und unternehmerische Praxis

Leidenschaftslose Organisationen

Work-Life-Balance
Zum Wandel des Verhältnisses von Berufs- und Privatleben bei Frauen und Männern

Die Verteilung der Erwerbsarbeit
Historische Erfahrungen und gegenwärtige Probleme